Noch bis zum 11. Juli 2014 können sich Organisationen, Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger (Einzelpersonen) an einer Konsultation der Europäischen Kommission zum transatlantischen Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) beteiligen.

Die Öffentliche Konsultation zu den Modalitäten des Investitionsschutzes und der Investor-Staat-Streitbeilegung im Rahmen von TTIP ist erreichbar unter http://ec.europa.eu/yourvoice/ipm/forms/dispatch?form=ISDS&lang=de.

Das Bauprinzip der Konsultation:
In 13 Fragen werden Stellungnahmen und Vorschläge zum Investitionsschutz (Teil A, Frage 1-5) und den damit verbundenen Klagemöglichkeiten (Investor-Staat-Streitbeilegung, Teil B, Frage 6-12) im TTIP abgefragt. Zu jeder Frage werden aus Sicht der EU-Kommission kurz der Hintergrund erläutert und dann Ziele und Ansatz der EU für die kommenden TTIP-Verhandlungsrunden dargelegt.
In Abschnitt C, Allgemeine Bewertung, (= Frage 13) können auch allgemeine Aspekte zu den Investitionsverhandlungen zwischen der EU und den USA und zum TTIP geäußert werden.

Praktischer Hinweis:
Der Fragebogen ist in allen 23 EU Sprachen verfügbar. Das Gesamtdokument hat 23 Seiten. Antworten können maximal 4000 Zeichen lang sein. Die EU empfiehlt, die Antworten offline vorzubereiten und danach online einzufügen. Zwischenspeichern oder eine Unterbrechung sind technisch nicht möglich! Das online Fenster ist maximal 90 Minuten offen.

Zu fünf für den Kultur- und AV-Bereich wichtigen Fragen wurden exemplarische Antwortelemente erarbeitet, die auf Beratungen der Koalition Kulturelle Vielfalt am 23.05.2014 in Mannheim, Vorschlägen aus der Europäischen Allianz der Koalitionen, Entwürfen von ARD/ZDF und der Initiative Urheberrecht sowie auf dem Vorstandsbeschluss der Deutschen UNESCO-Kommission vom 24.06.2014 basieren:

Öffentliche Konsultation zu den Modalitäten des Investitionsschutzes und der Investor-Staat-Streitbeilegung im Rahmen der TTIP
Zu Abschnitt A, Materiellrechtliche Bestimmungen zum Schutz von Investitionen

Frage (1): Geltungsbereich der materiellrechtlichen Investitionsschutzbestimmungen

Antwort
Zum Geltungsbereich schlagen wir folgende Formulierung vor:
Maßnahmen oder Regelungen, die nach Ansicht derjenigen Partei, die diese Maßnahmen oder Regelungen in Kraft setzt, auf den Schutz, die Förderung oder die Entwicklung kultureller Belange abzielen und damit kulturelle Vielfalt gewährleisten, sind vom Geltungsbereich dieses Abkommens ausgeschlossen. Dieses Abkommen betrifft keine Maßnahmen, die audiovisuelle Mediendienste bzw. den audiovisuellen Sektor in ihrer/seiner jetzigen oder künftigen Form betreffen.
Sollte ein künftiges TTIP ein Investitionsschutzkapitel beinhalten, muss zwingend auch für diesen Teil des Abkommens durch eine allgemeine dynamisierte Schutzklausel garantiert werden, dass die Vertragspartner auch künftig uneingeschränkt das Recht haben werden, Maßnahmen mit dem Ziel zu ergreifen, die Vielfalt kultureller Ausdrucksweisen sowie die Medienfreiheit und den Medienpluralismus zu schützen und zu fördern.

Diese Klausel müsste technologieneutral ausgestaltet sein. Der technische Wandel, und besonders die Konvergenz von kulturellen Inhalten, Informationstechnologie, Telekommunikation und Medien muss berücksichtigt werden. Im Abkommen muss festgehalten werden, dass künftige Änderungen der europäischen und nationalen Rechtsordnungen zum Schutz und zur Förderung des kulturellen/audiovisuellen Sektors ausdrücklich zugelassen sind. Es versteht sich von selbst dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten darüber hinaus befähigt bleiben müssen, bereits bestehende Regelwerke und Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung von kultureller Vielfalt und zur Sicherung von Medienpluralismus sowohl zu erhalten als auch fortzuentwickeln.

Insbesondere muss eine solche Ausnahmeklausel es erlauben, die gesamte kulturelle Wertschöpfungskette -unabhängig von den genutzten technologischen Verbreitungskanälen - sowie audiovisuelle Mediendienste auch in einem konvergenten Medienumfeld zukunftsfest weiterzuentwickeln, um den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen in der Gesellschaft zu dienen.
Eine solche Schutzklausel ist erforderlich, um der völkerrechtlichen Verpflichtung der EU und der EU-Mitgliedstaaten als Vertragsstaaten der UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen aus 2005 nachzukommen, gerade angesichts des Umstands, dass die USA dieser Konvention nicht beigetreten sind und sich an deren Inhalte nicht gebunden fühlen müssen.
Auf der Grundlage von Investor-Staat-Schiedsklauseln könnten sonst Unternehmen Gesetze oder sonstige staatliche (Förder-)Maßnahmen vor internationalen Schiedsgerichten mit der Behauptung angreifen, sie verletzten den im Abkommen vereinbarten Schutz ihrer Auslandsinvestition. Oft reicht schon die Drohung mit einer Klage vor einem solchen (intransparenten) Schiedsgericht, um Gesetzgebungsvorhaben zu beeinflussen.

Frage (2): Nichtdiskriminierung
Antwort

Die Formulierungsvorschläge für Ausnahmen von der Anwendung der Nichtdiskriminierungsregeln im Referenzdokument sind nicht zufriedenstellend. Während das erläuternde Konsultationsdokument unter dem Stichwort der Sicherung von Zielsetzungen des öffentlichen Interesses anführt, dass weitere Ausnahmen für den audiovisuellen Sektor und für Fördermaßnahmen (Beihilfen) gemacht werden sollen, enthält das Referenzdokument nur Ausnahmeregelungen zum Gesundheits- und Umweltschutz.

Fehlinterpretationen müssen hierzu ein-eindeutig ausgeschlossen werden. Deswegen muss unmissverständlich aufgenommen werden, dass die öffentlichen Gemeinwohlzielsetzungen des Schutzes und der Förderung kultureller Vielfalt sowie des Pluralismus der Medien zu den Fällen gehören, bei denen Unterschiede in der Gleichbehandlung gerechtfertigt sind. Die Mitgliedstaaten haben der Europäischen Kommission in den Verhandlungsleitlinien für TTIP vom Juni 2013 ausdrücklich kein Mandat erteilt, im Bereich der audiovisuellen Medien Liberalisierungs-zugeständnisse zu machen.

Auch im Hinblick auf die Nicht-Diskriminierung muss also sichergestellt sein, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten auch künftig Maßnahmen mit dem Ziel ergreifen können, die kulturelle und sprachliche Vielfalt, Medienfreiheit und Medienpluralismus zu schützen und zu fördern.
Es müsste in technologieneutraler Weise die Möglichkeit eröffnet bleiben, die gesamte kulturelle Wertschöpfungskette unabhängig von den genutzten technologischen Verbreitungskanälen sowie audiovisuelle Mediendienste auch in einem konvergenten Medienumfeld zukunftsfest weiterzuentwickeln, um den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen in der Gesellschaft zu dienen.

Frage (3): Faire und angemessene Behandlung
Antwort

Der Grundsatz der fairen und gerechten Behandlung muss so konkretisiert werden, dass darunter kein Festschreiben des Ist-Zustandes (miss) verstanden werden kann. Die beteiligten Staaten (‚Gastländer‘) müssen in der Lage sein, bestehende Gesetze, Regelwerke und Maßnahmen an Veränderungen anzupassen (zum Beispiel, Kulturpolitische Maßnahmen für die Herausforderungen der digitalen Ära tauglich zu machen).

Investoren sollen unter dem Kriterium der ‚legitimen Erwartungen‘ jedoch nicht in die Lage versetzt werden, in Europa seit langem eingeführte bewährte Instrumente öffentlicher Kultur- und Medienpolitik gefährden zu können (wie z.B. Preisbindung für Bücher, einschließlich e-Books in einigen EU-Mitgliedsstaaten oder positive Verpflichtungen zur Investition in europäische Filmproduktion und audiovisuelle Werke).

Frage (5): Gewährleistung des Regelungsrechts und Investitionsschutz
Antwort

Durch Ausnahmeklauseln muss sichergestellt werden, dass bestimmte Maßnahmen, die Staaten oder Staatenverbände im öffentlichen Interesse vornehmen, nicht der Überprüfung durch Schiedsgerichte unterfallen dürfen. Hierunter müssen – wie von der Kommission im Konsultationsdokument mit konkretem Verweis auf den audiovisuellen Sektor benannt - ganz ausdrücklich auch Maßnahmen fallen, die dem Ziel dienen, die kulturelle und sprachliche Vielfalt und/oder Medienfreiheit bzw. Medienpluralismus zu schützen oder zu fördern. Wie bereits zum Stichwort ‚Nicht-Diskriminierung‘ (2) erläutert, muss dies gewährleisten, unabhängig vom Verbreitungsweg und technologieneutral Möglichkeiten von kulturellen, audiovisuellen und Mediendiensten zu entwickeln, um den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen in der Gesellschaft gerecht zu werden.

Diese Ausnahmeklauseln dürfen sich nicht auf bestehende Regeln beschränken. Sie müssen auch künftige Regulierung zum Schutz und zur Förderung entsprechender Politiken im öffentlichen Interesse ermöglichen. So zielen z.B. die Preisbindungen für Bücher und e-Bücher in verschiedenen EU Staaten auf die Gleichbehandlung von Bürgern (gleicher Preis auf dem gesamten Staatsgebiet), auf die Verfügbarkeit kultureller Ressourcen (weitgefächertes und dichtes Vertriebsnetz) sowie die Förderung von Pluralismus (Schriftstellerisches Produktion, verlegerische Vielfalt) in Bezug auf weniger markt-gängige Inhalte.
Auffällig ist zweitens, dass sich die Kommission mit dem Referenztext auf ein Abkommen bezieht, dass einen Negativlistenansatz verfolgt. Das erweckt den Eindruck, als ob bereits eine Grundsatzentscheidung dahingehend gefallen sei, künftig Freihandels- und Investitionsschutz-abkommen grundsätzlich nach diesem Muster zu gestalten. Das europäische Gemeinwesen gründet auf einer spezifischen Kombination aus Freiheit und Vielfalt, und damit insbesondere auch auf dem Schutz und der Förderung kultureller Vielfalt. Mit einem Negativ-Listen Ansatz würde dieser Handlungsspielraum drastisch schrumpfen. Daher ist das Freihandels-Abkommen zwischen der EU und Kanada ein höchst problematischer Präzedenzfall.

Wir lehnen einen Negativlistenansatz deshalb ab. Bekanntermaßen hat er zur Folge, dass alle nicht ausdrücklich genannten Dienstleistungen vom Anwendungsbereich des Abkommens erfasst und einer Liberalisierung unterworfen sind. Um nach diesem Ansatz einen Sektor oder Teilsektoren aus dem Abkommen auszunehmen, bedarf es klarer und eindeutiger Definitionen. Diese sind dann aber festgeschrieben und können nicht mehr an zukünftige Entwicklungen angepasst werden.

Angesichts der rapiden technologischen Entwicklung im kulturellen audiovisuellen Sektor und den damit einhergehenden konstanten Veränderungen bei Nutzerverhalten und Dienstleistungsangeboten, wird schnell deutlich, dass es hier keine statischen Begriffsdefinitionen geben kann. Vielmehr bedarf es ganz allgemein einer weiten Ausnahme für den audiovisuellen Sektor und für die Vielfalts-relevanten kulturellen Güter und Dienstleistungen. Diese Ausnahmebestimmung muss zukunftsfest, dynamisch, flexibel, technologie- und plattformneutral alle Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Produktion, Veröffentlichung und Verbreitung und Auffindbarkeit von linearen und nicht-linearen audio- und audiovisuellen und kulturellen Inhalten von unerwünschten Liberalisierungen ausnimmt.
Wir fordern deshalb nachdrücklich dazu auf, auch künftig in allen Außenhandelsabkommen mit Beteiligung der EU nach dem bewähren Positivlisten-Ansatz vorzugehen, bei dem nur die Dienstleistungen liberalisiert werden, die ausdrücklich auf den entsprechenden Listen vermerkt sind.

Zu Abschnitt C, Allgemeine Bewertung

Zusammenfassend mit Blick auf die anstehenden Aufgaben und Herausforderungen im TTIP-Prozess:
• begrüßen wir die Aussprache des EU Kulturministerrats vom 20.05.2014 und den dort erörterten expliziten Ausschluss des gesamten AV- und Kultursektors aus den TTIP-Verhandlungen;
• sehen wir die zwingende Notwendigkeit, diesen Ausschluss auf die gesamte kulturelle Wertschöpfungskette – unabhängig von den genutzten technologischen Verbreitungskanälen-auszuweiten;
• sehen wir die dringende Notwendigkeit einer viel substantielleren und tiefergehenden Vorabinformationspolitik seitens der im Namen der Mitgliedsstaaten verhandelnden EU-Kommission,
• einschließlich der Information über Vorschläge der Vereinigten Staaten in den Bereichen Kultur und Audiovisuelle Dienste;
• halten wir es für unverzichtbar, EU-seitig das Prinzip der Technologieneutralität der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen dezidiert zu bekräftigen und in Schriftform in das Vertragswerk einzubringen;
• erwarten wir, dass das ausdrückliche Recht der EU-Mitgliedsstaaten als Vertragspartien der UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt von 2005, heutige und künftige Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung der kulturellen Vielfalt zu ergreifen, im TTIP-Prozess explizit festgehalten und bekräftigt wird.

Für die Substanz und Akzeptanz einer möglichen künftigen TTIP ist diese zweite Verhandlungsphase bis Ende 2015 entscheidend. An konkreten Formulierungen im Vertragstext wird sich die potentielle Nützlichkeit oder Schädlichkeit des Übereinkommens festmachen.

Die Teil-Ausnahmen für den audiovisuellen Bereich im Mandatstext von Juni 2013 sind ein wichtiger Etappen-Erfolg. U.a. wegen der wachsenden Bedeutung digitaler Plattformen für die Wertschöpfung im Kultur-, Bildungs- und Mediensektor in Deutschland und in Europa sind diese Ausnahmen jedoch nicht hinreichend.

Die breit eingeforderte größtmögliche Transparenz bei Mandatserteilung und Aushandlung des TTIP-Abkommens ist bislang immer noch nicht gegeben.

So gab es während der letzten Verhandlungsrunden mehrfach informelle Hinweise, die amerikanische Seite habe jeweils ein Non-Paper zu Audiovisuellen Fragen sowie zu Kulturgütern und –dienstleistungen vorgelegt. Dahinter stehen der für die USA zweitgrößte Exportsektor und digital basierte Geschäftsmodelle wie Amazon, Google und i-Tunes.

Solange die Substanz solcher ‚Testballons‘ und Verhandlungs-Vorschläge nicht fachlich und sachlich analysiert werden kann und auch die Textfassungen des TISA5 nicht bekannt gegeben werden, wird die Akzeptanz einer möglichen TTIP weiter sinken.

Wir erwarten deshalb nach Auswertung dieser Konsultation eine deutliche Zunahme an Transparenz in der Substanz (Verhandlungsgegenstände, konkrete Formulierungen) und die Bekräftigung der völkerrechtlich eingegangenen politischen Verpflichtungen und Gestaltungsoptionen.

Absätze