Mehr als vier Monate sind seit dem Positionspapier „Ausgetanzt und leise. Das Ende der Club- und Festivalkultur wie wir sie kennen“ vergangen. Passiert ist wenig. Nur die Zeit vergeht, der Herbst kommt näher und die Entwicklung des Virus schreitet voran.
Die Veranstaltungsbranche erlebt gerade die schwierige Situation, die sie vorab skizziert hatte. Kostenexplosion, weiterhin Absagen, Personalnot und große Unsicherheit herrschen vor. Der Ausblick auf einen plötzlichen Lockdown, auf Maßnahmen mit unklarem Ende und ein erneutes Anfahren 2023 lässt erschaudern.
Mit rund 50 Millionen Besucher:innen (Quelle: Clubstudie der Initiative Musik) sind Musikspielstätten Heimat vieler Menschen und ein beliebtes, begehrtes, bewundertes Kulturgut. Mehr Menschen besuchen sie als Bundesligastadien, Theater oder Kinos. Es geht ihnen um das Gemeinschaftserlebnis, um Begegnung, um das Erleben und Gestalten von Kultur und Identitäten. Clubs und Festivals sind Frei- und Schutzräume, sie sind Bühne für Künstler:innen und Arbeitsplatz für 45.000 Menschen.
Wir haben im Februar um Konzepte gebeten, um dieses kulturelle Ökosystem zu schützen, leider geschah nichts. Hier ist nun ein Vorschlag der Branche, wie mit der Festival- und Clubkultur im Herbst/Winter umzugehen ist.
Zuerst: Für uns ist es essentiell kein Opfer von Symbolpolitik zu werden, auch Clubs müssen so lange wie möglich geöffnet bleiben!
Menschen stecken sich in vollen Innenräumen mit längerer Aufenthaltsdauer an. Das spricht gegen Clubs, aber auch gegen viele andere Orte. Wenn sich in ständiger Folge mit besonderer Schwere gegen die Clubkultur entschieden wird, hat es mit Wertungen zu tun und weniger mit Fakten. In diesen Wertungen muss die Verhältnismäßigkeit geprüft werden. Kunst- und Gewerbefreiheit sind hohe Rechtsgüter. Wenn unsere
Gesellschaft Konzerte oder Tanzen, also die Freiheit, sich künstlerisch oder körperlich auszudrücken, selbst dann nicht mehr garantieren kann, wenn es Impfung, Medikamente und andere technische Lösungen gibt, dann ist es politischer Wille und nicht pandemisches Schicksal.
Im Übrigen: Die Menschen werden sich (bei weiteren Clubschließungen) in ungelüfteten Partykellern, in Industrieruinen oder auf der Straße ausleben – ohne jeden Test und Regeln, mit ebensolchem Infektionsrisiko. D.h. die Ansteckungen werden durch Schließungen der Clubs potentiell zunehmen.
Also: Verhältnismäßigkeit wahren!
Wenn das zu schützende Gesundheitssystem doch unter Druck geraten sollte, dann müssen zuerst technische Lösungen bereitstehen, um dem, in der Pandemie besonders vernachlässigten, jungen Publikum, das darüber hinaus fast nie ins Krankenhaus und erst recht nicht auf die Intensivstation kommt (Quelle: DIVI Intensivregister Report), Gemeinschaft und Clubkultur zu ermöglichen.
Trotzdem müssen die Infektionen reduziert werden und dies kann durch eine gute Teststrategie, bei niedrigeren Inzidenzen mit Antigentests, besser aber und bei höheren Inzidenzen mit PCR-Tests gelingen. Sie senken das Ansteckungsrisiko auf einer Veranstaltung gewaltig. Das dieses Vorgehen funktionieren kann, haben wir in Studien belegt. (Quelle: Forschungsbericht Hardingcenter)
Angeblich stehen Kapazitäten und Kosten im Weg, aber Wien hat es vorgemacht: 4-6 € hat am Ende den Staat ein Test gekostet. Wien hat es geschafft, den PCR-Test günstiger zu machen als Antigentests in Deutschland.
Fazit: Modellversuche gab es, Konzepte wurden und werden entwickelt, entsprechende Angebote von Firmen liegen vor, die Testverordnung und Entscheidungsschwäche stehen dem entgegen.
Baut die PCR-Testkapazitäten aus und ermöglicht somit längere Öffnungen!
Wichtig ist zudem ein bundesweit einigermaßen gleiches Vorgehen, was Kennzahlen, Maßnahmen und Entscheidungen angeht. Einen Vorschlag für eine Entscheidungsmatrix erarbeitet derzeit das Forum Veranstaltungswirtschaft.
Viel spricht für einen Weiterbetrieb von Konzerten, Clubs und Festivals – auch ökonomisch. Ein Schließen erfordert erneut passgenauere Hilfen, sogar der eingeschränkte Betrieb wird schwer für die Branche. Insofern sind Investitionen in ausreichende Testkapazitäten wesentlich günstiger als Schließungen und Hilfen.
Dieses Land braucht jeden gemeinschaftsstiftenden Ort, dieses Land braucht Clubkultur.