Am 19. März 2004 eröffnete Kulturstaatsministerin Christina Weiss das Festivals "MaerzMusik" in Berlin.

Anrede,

in der "Universe Symphony" von Charles Ives geht es um den Herzschlag des Lebens in der Musik - "Life Pulse Music", ein Bild auch, um MaerzMusik zu beschreiben. Das erfolgreichste Festival der Berliner Festspiele misst den Herzschlag der aktuellen Musik. Und es verlässt dazu die traditionellen Andachtsräume des Konzertlebens. An fünfzehn verschiedenen Orten in der Stadt entfalten sich während der MaerzMusik Räume neuer Hörerfahrung. Das Festival sucht nach Grenzüberschreitungen und Schnittstellen zu anderen Künsten und setzt - was vielleicht am Allerwichtigsten ist - auf Neugier.

Ungewöhnliche Konzertprogramme verlangen nach ungewöhnlichen Zugängen. Gewohnheit und Gewöhnung sollten auch beim Musikhören immer wieder durchquert und gebrochen werden, sonst wird überhört, was nicht im festgefügten bekannten Spektrum sich abspielt. Es geht darum, auch durch sich verändernde Räume die Sinne zu sensibilieren, neue Aufmerksamkeit zu schaffen, neue Begegnungen auch mit sich als Zuhörendem zu ermöglichen.

Wie sieht es aus in der Unterbühne des Hauses der Berliner Festspiele? Sie ist im Normalbetrieb eine Art technische Schaltzentrale, in der MaerzMusik wird sie kurzzeitig zu einem Ort der Vernetzung der Künste, von Wissenschaft und Musik - in der "Brain study" von Julian Klein. Es geht nicht um das eindrucksvolle Vorführen einer gigantischen technischen Maschinerie, es geht um die Magie der Klänge.

Heißt das nun umgekehrt, daß die Wirkung der Magie auf eine Erfolgsformel zu bringen wäre, die da hieße: je reizvoller das Ambiente, desto größer die Magie? Das wäre gefährlich, weil oberflächlich verführerisch. Räume verführen anders: Im Rangfoyer des Hauses der Berliner Festspiele wird man über einen Flügel stolpern. Wer so nah herankommt, wird auch versuchen, mit seinem Ohr so nah an die Musik heranzukommen, um die feinsten Balladentöne von Magister Zacharias aus dem 14. Jahrhundert wahrnehmen zu können.

Derart sensibilisiert haben unsere Ohren eine Chance, auch den routinierten Konzertbetrieb neu wahrzunehmen. Dann sitzen wir in der Kammerphilharmonie und hören plötzlich, wie ausgefeilt die akustischen Dimensionen des französisch eleganten Klanges des Ensemble Intercontemporain sind. Unter Laborbedingungen, im Herzen des Pariser IRCAM, dem Espace de Projection wurden sie aufs Raffinierteste ausgefeilt und dann in Berlin präzise auf die Akustik der Kammerphilharmonie eingestellt.

Es ist kein Zufall, daß der Komponist Charles Ives und sein Werk in diesem Jahr im Mittelpunkt des Festivals steht. Komponisten wurden beauftragt, die Folgen seines Schaffens für ihre Arbeit in Musik zu setzen, ein Symposion wird Gelegenheit geben, aus wissenschaftlicher und künstlerischer Sicht den Dingen auf den Grund zu gehen.

50 Jahre nach seinem Tod und zur Feier seines 130. Geburtstages hat man in diesem Jahr die weitreichenden Folgen seiner Visionen wieder entdeckt. Und man fragt sich, wie kam es zu diesem geschärften Blick für Klänge und Räume, zu dieser Musik, die den Sampler vorausahnte, die Geräusche einbezog, die der spektralen Musik den Boden bereitete und jeden High-Tech-Entwickler heutiger Tage zur Verzweiflung bringen könnte, weil er diese Tiefe und Mehrdimensionalität des Klanges niemals erreichen wird ?

Der Raum der Wahrnehmung war für Charles Ives der Lebensraum, initiiert durch seinen Klänge sammelnden Vater, der mit seiner dörflichen Blaskapelle allerlei Experimente wagte, vertieft durch die Philosophie von Thoreau und Emerson.

Ives hat die Musiktheorie studiert und ernst genommen, aber er hatte völlig ungewöhnliche Wege beschritten und sich über die Klang- und Tonräume auch geistige Freiräume geschaffen. Charles Ives beschreibt seine Arbeit wie folgt: "Die Frage der räumlichen Anordnung ist nur eines von vielen Problemen, deren genaues Studium den Mitteln und Zwecken der Interpretation von Musik förderlich sein könnte. In bestimmte Richtungen bewegt sich Geld manchmal schneller als der Schall - nur nicht in Richtung des musikalischen Experimentes oder der Innovation. Wenn auch nur ein Hundertstel des Geldes, das in die Herstellung kunstloser Ersatzerzeugnisse für die menschliche Seele gesteckt wird, weniger sensationellen, dafür aber wichtigeren Tätigkeitsbereichen zuflösse, so wäre die Musik insgesamt besser dran." Soweit Ives 1933.

Meine Damen und Herren,

die Bundesregierung setzt mit dem internationalen Festival für aktuelle Musik unter dem Dach der Berliner Festspiele ein Zeichen. Bei MaerzMusik zeigt sich einmal mehr, dass große Ideen, außergewöhnliche Projekte am besten im Verbund der kreativen Kräfte realisiert werden können. Doch damit nicht genug. Um der zeitgenössischen Musik in Deutschland weiter den Boden zu bereiten, dem Neuen eine Chance zu geben, den Fokus auf das Aktuelle zu legen, fördert die Kulturstiftung des Bundes in den nächsten vier Jahren auch das Ensemble Modern und die Donaueschinger Musiktage.

Beides sind Foren, die über ihre eigenen Strukturen immer wieder hinausblicken, die neue Formen zulassen, hohes künstlerisches Risiko nicht scheuen und auch das Scheitern immer wieder in Kauf nehmen. Donaueschingen ist längst eine Pilgerstätte für Freunde der Avantgarde und für die Bundeskulturstiftung einer der Leuchttürme der Neuen Musik. Dazu gehört auch das Ensemble Modern. Gefördert wird aber vor allem ein Projekt, das darauf abzielt, einen ganz neuen, flexiblen Orchestertyp, das Ensemble Modern Orchestra, zu begründen. Andererseits soll eine Akademie ins Leben gerufen werden: Musikstudenten gehen in die Lehre bei Musikerinnen und Musikern des Ensemble Modern. Ein hoffnungsvolles Projekt, wie ich finde. Auch hier sind übrigens Kooperationen mit MaerzMusik gewünscht und sicher auch schon geplant.

Ich wünsche der MaerzMusik und uns allen, das wir nicht in bequemen Hörgewohnheiten stecken bleiben, sondern uns aufmachen, Dinge zu vollenden und weiter zu entwickeln und den Pluralismus der Moderne, wie es so schön heißt, als Herausforderung erkennen!

Vielen Dank!