Auf ihrer diesjährigen Jahrestagung in Paderborn verlieh die Gesellschaft für Musikforschung zwei Preise: In Anerkennung seiner hervorragender Leistungen auf dem Gebiet der Musikwissenschaft wurde der Hermann Abert-Preis 2019 an Herrn Privatdozenten Dr. Dominik Höink, Universität Münster, verliehen. Der in Kooperation mit dem Verlag Schott Music ausgeschriebene Promotionspreis 2019 ging an Frau Dr. des. Olga Sutkowska, Österreichische Akademie der Wissenschaften Wien, für ihre an der UdK Berlin entstandene Arbeit “Antike Doppelschalmeien mit Klangmechanismen: Eine musikarchäologische Studie kaiserzeitlicher Auloi/Tibiae“. Frau Dr. Helga Lühning, Bonn, wurde in Würdigung ihrer Verdienste um die Musikphilologie und ihrer Arbeit in der Gesellschaft für Musikforschung die Ehrenmitgliedschaft verliehen.
Hermann-Abert-Preis 2019 an Herrn Privatdozenten Dr. Dominik Höink verliehen
Die Gesellschaft für Musikforschung hat auf ihrer Jahrestagung in Paderborn Herrn Privatdozenten Dr. Dominik Höink den Hermann-Abert-Preis 2019 verliehen. Sie ehrt damit einen der profiliertesten deutschen Nachwuchsmusikwissenschaftler.
Der seit dem Jahr 1993 von der Gesellschaft für Musikforschung verliehene Hermann-Abert-Preis dient der Auszeichnung und Förderung des Nachwuchses im Fach Musikwissenschaft. Vergeben wird der Preis in Anerkennung hervorragender Leistungen auf allen Gebieten der Musikwissenschaft an Fachvertreterinnen und Fachvertreter, die nicht älter als 40 Jahre sind und noch keine dauerhafte Professur an einer Universität oder Musikhochschule innehaben. Der Preis wird in Anerkennung herausragender Dissertationen und Habilitationsschriften sowie in Würdigung insgesamt erbrachter wissenschaftlicher Leistungen verliehen.
Der diesjährige Preisträger Privatdozent Dr. Dominik Höink studierte von 2000 bis 2005 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster die Fächer Musikwissenschaft, Katholische Theologie und Psychologie. 2008 wurde er zum Doktor der Philosophie promoviert; der Titel der mit der Note summa cum laude bewerteten Dissertation lautet: Die Rezeption der Kirchenmusik Anton Bruckners. Genese, Tradition und Instrumentalisierung des Vergleichs mit Giovanni Pierluigi da Palestrina. Im Exzellenzcluster "Religion und Politik“ der Universität Münster übernahm Höink im selben Jahr als Leiter das selbst eingeworbene Projekt "Politisch-nationale Stoffe und geistlich-religiöse Form: Das Oratorium vom 18. bis 20. Jahrhundert“. Aus dieser Tätigkeit ging nicht nur die mit dem Internationalen Händel-Forschungspreis 2014 ausgezeichnete Publikation Aufführungen von Händels Oratorien im deutschsprachigen Raum (1800–1900) hervor, sondern 2018 die Habilitationsschrift zum Thema Oratorium und Nation, 1914–1945. Studien zur Politisierung religiöser Musik in Deutschland. Bereits 2011 fand Höink Aufnahme im Jungen Kolleg der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste, Düsseldorf. Seit Sommersemester 2017 vertritt er die Professur für Musikwissenschaft an der Folkwang Universität der Künste, Essen.
An der Dissertation zur Rezeption der Kirchenmusik Anton Bruckners hebt die Jury hervor, auf welch präzise und methodisch vorbildliche Weise durch die Analyse einschlägiger Schriften der Bruckner-Apologetik deutlich gemacht wird, wie sich die Erhebung des Komponisten zum "modernen Palestrina“ vollzog. Höink stellt klar, dass die Rezeptionsbemühungen nicht auf eine historisch-quellenkritische Erschließung und hermeneutische Beschäftigung mit dem Schaffen Bruckners abzielten, sondern im Sinne einer Sakralisierung, gleichsam Heiligsprechung Bruckners und Erhebung zum (zweiten) ‚Retter der Kirchenmusik‘ betrieben wurden.
Der Titel der Habilitationsschrift ist Programm: Da stehen umstandslos Oratorium und Nation nebeneinander, also hier Gattung und dort staatsphilosophisch, völkerrechtlich, politik- wie sozialwissenschaftlicher Terminus; mit 1914 bis 1945 wird ein Untersuchungszeitraum bestimmt, der gemeinhin nicht mehr mit einer besonders fruchtbaren Phase der Oratorienproduktion assoziiert wird; die nähere Bestimmung der Untersuchung, ausgedrückt im Untertitel der Arbeit als der Politisierung religiöser Musik in Deutschland zugewandt, rückt das Politische und das Sakrale in den Zusammenhang von Musik, wo diese doch in deutscher Wahrnehmung zwar durchaus "Gottes“, aber möglichst nicht "des Kaisers“ ist. Die inhaltliche, argumentative und darstellerische Ausrichtung begründet zugleich das Neuartige des Blicks, den Höink auf das Oratorium wirft. Es geht nicht um das traditionelle "Meisterwerk“-Narrativ, auch nicht um eine vorgebliche Linearität von Fortschritt, sondern um ein textlich-musikalisches-nationales Genre im Koordinatensystem von Konfession, Säkularisierung, Erinnerung und Gemeinschaft.
Mit Dominik Höink wird ein Wissenschaftler ausgezeichnet, der in seinen bisherigen Arbeiten thematische Vielfalt und Originalität, gedankliche Frische sowie das Vermögen bewiesen hat, nicht nur im Kreis des eigenen Faches, sondern auch im intensiven Austausch mit anderen Disziplinen höchst produktive Impulse zu geben.
Promotionspreis 2019 an Frau Dr. des. Olga Sutkowska verliehen
Die Gesellschaft für Musikforschung hat auf ihrer Jahrestagung in Paderborn die Dissertation von Frau Dr. des. Olga Sutkowska mit dem Promotionspreis 2019 ausgezeichnet. Die Musikwissenschaftlerin erforschte mit musikarchäologischen und experimentellen Methoden den Klang und die Funktionsweise antiker Blasinstrumente.
Der zum vierten Mal von der Gesellschaft für Musikforschung in Kooperation mit dem Mainzer Verlag Schott Music verliehene Promotionspreis dient der Auszeichnung und Förderung des Nachwuchses im Fach Musikwissenschaft. Vergeben wird der Preis jährlich, um herausragende Dissertationen aus allen Gebieten der Musikwissenschaft auszuzeichnen.
Die Jury hat aus allen eingegangenen Vorschlägen und Bewerbungen die Dissertation von Olga Katarzyna Sutkowska über "Antike Doppelschalmeien mit Klangmechanismen: Eine musikarchäologische Studie kaiserzeitlicher Auloi/Tibiae“ für den Promotionspreis ausgewählt und betont in ihrer Begründung, dass sich diese Forschungsarbeit einem wichtigen, im Fach gleichwohl aktuell eher unterrepräsentierten Gebiet widme. Sie sei dabei methodisch außergewöhnlich vielfältig und in ihrer Verbindung archäologischer, experimenteller, kulturwissenschaftlicher und digitaler Ansätze in besonderer Weise anschlussfähig. Das neu gewonnene Wissen über Bautechnik, Materialität, Spielweise, kulturellen Status und insbesondere auch über die Klanglichkeit des Aulos als zentralem Instrumententypus der griechischen wie auch der römischen Antike füge sich zu einem Gesamtbild, das den Forschungsdiskurs substanziell bereichere und ihm signifikante Impulse gebe.
Die diesjährige Preisträgerin Dr. des Olga Sutkowska studierte klassische Oboe und Musikwissenschaft in Łódź/Lodz, Białystok/Bjelostock und Warschau, bevor sie für die Promotion zu Prof. Dr. Lars-Christian Koch an die Berliner Universität der Künste wechselte. Als Doktorandin koordinierte sie zudem im Rahmen eines europäischen Verbundprojekts zur Musikarchäologie, dem im Kulturprogramm der Europäischen Union geförderten European Music Archeology Project EMAP, das Teilprojekt "Workshop of Dionysus“, welches die Wieder-Hörbarmachung antiker Auloi zum Ziel hatte. Seit 2018 ist Sutkowska Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Zugleich ist sie auch als Komponistin und Aulosspielerin professionell tätig. Vier ihrer Kompositionen für Aulos sind in eigenen Einspielungen auf der CD "Apollo & Dionysus: Sounds from Classical Antiquity“ beim Label Delphian erschienen.
Ehrenmitgliedschaft an Frau Dr. Helga Lühning verliehen
Für ihr umfassendes fachliches wie verbandspolitisches Engagement hat die Gesellschaft für Musikforschung auf ihrer Jahrestagung 2019 in Paderborn Frau Dr. Helga Lühning zu ihrem Ehrenmitglied ernannt. Helga Lühning hat die Opernforschung für die Editionsphilologie und die Editionsphilologie für die spezifischen Belange der Oper geöffnet - mit nachhaltiger Wirkung. Ohne ihre Arbeiten stünden beide Bereiche sachlich wie methodisch heute nicht da, wo sie stehen. Als langjährige Mitarbeiterin des Beethoven-Archivs hat sie mitgewirkt an einer kritischen Neubewertung der Musikphilologie und der Modernisierung des Konzepts der Gesamtausgaben, ihrer Abkehr von der Tradition der Denkmäler zugunsten einer Vorstellung von Edition, die an die aktuellen Debatten anknüpft. Sie steht für eine lebendige und immer diskussionsfreudige Verbindung zwischen dem Beethoven-Haus und der GfM, eine Tradition, die bis heute besteht. Ihre fachliche wie persönliche Nähe zu Italien und die Zeit in Rom am DHI prädestinierte sie für die Arbeit in der Kommission für Auslandsstudien. Über 10 Jahre, von 1991 bis 2003, war sie – als erste Frau in diesem Amt – Sprecherin der Fachgruppe Freie Forschungsinstitute und 2001 wurde sie überdies in den Vorstand der GfM gewählt.
Als Sprecherin der Fachgruppe hat Helga Lühning das Selbstverständnis der Freien Forschungsinstitute maßgeblich modernisiert und für öffentliche Wahrnehmung gesorgt. Auf diese Arbeit können und müssen wir immer wieder zurückgreifen. Methodisch wie verbandspolitisch hat Helga Lühning immer auch über den Rand der Musikwissenschaften hinausgeblickt, in die literaturwissenschaftliche wie die philosophische Editionsphilologie.
Hervorzuheben ist ihr Engagement für die Kooperation der Fachgruppe Freie Forschungsinstitute mit der Arbeitsgemeinschaft Germanistische Edition, die gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft philosophischer Editionen der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie im Jahr 2000 ein interdisziplinäres Memorandum auf den Weg gebracht haben, das auf die verstärkte öffentliche Diskussion über langfristige Editionsprojekte in dieser Zeit reagiert und die Bedeutung der Editionsphilologie für die Sicherung und Vermittlung des kulturellen Erbes herausstellt. Dieses Papier ist angesichts der Debatten über Digitalisierung aktueller denn je, und es ist kein Zufall, dass gerade die Editorinnen und Editoren in den Debatten um digitale Strategien der Kulturgutsicherung nicht nur sehr aktiv sind, sondern ihre Expertise auch für die Entwicklungen zentral ist.
Die wissenschafts- und kulturpolitische Bedeutung solch forschungsgetriebenen Engagements, wie Helga Lühning es in und mit der Gesellschaft für Musikforschung entfaltet hat, wächst vielleicht heute noch - in Zeiten des Wissenschaftsmanagements, das sich von der Forschung selbst immer mehr absetzt. Kolleginnen und Kollegen, die das weiterhin zusammendenken werden gebraucht, und Helga Lühning, die darin lange Erfahrung hat, ist für die Gesellschaft für Musikforschung Ratgeberin und wichtiges Vorbild. Ehrenmitgliedschaften sind in diesem Sinne nicht einfach nur Ehrungen für Vergangenes, sondern vor allem auch Verbindungen in die Zukunft.