Sechs Tage lang war das Allgäu Sammelpunkt für die fünf großen Weltreligionen: Islam, Hinduismus, Buddhismus, Judentum und Christentum waren durch insgesamt 11 Ensembles aus 10 Nationen vertreten. Über das Pfingstwochenende wurde hier ein ganz besonderes Fest des Friedens und des Heiligen Geistes gefeiert. Seit 1992 holt Dolf Rabus, Festivalleiter und Direktor der Bayerischen Musikakademie Marktoberdorf alle zwei Jahre Vertreter der Weltreligionen ins Allgäu und lässt sie in Konzerten und Vorträgen ihre Art des göttlichen Lobpreises zeigen. Begegnung steht dabei für ihn an oberster Stelle: „Einer Globalisierung der Wirtschaft und der Medien muss endlich eine Globalisierung des Dialogs und der Verständigung an die Seite gestellt werden. Und dort, wo Ensembles der fünf großen Weltreligionen miteinander Musik machen und tanzen, wird über alle Sprachbarrieren hinweg kommuniziert und Verständnis aufgebaut.“

Indien – Bulgarien in sechs Stunden
Erstmalig bei Musica Sacra International wurden dieses Jahr KulTTouRen angeboten. Die Gäste wurden in Bussen zu jeweils zwei Konzerte gebracht, während der Fahrt wurde Wissenswertes zu Geschichte und Architektur der Region erzählt, und dazwischen oder danach wurden Spezialitäten aus der Region in ungewöhnlichen Lokalitäten serviert. So geschehen bei der KulTTouR 1: während der Fahrt nach Breitenwang im benachbarten Österreich erfuhren die Gäste Historisches über die Via Claudia Augusta und über die Entwicklung der ehemals ärmlichen Voralpenregion Allgäu. In St. Petrus und Paulus entführten dann Manoj Baruah und Soumitrajit Chatterjee auf Violine und Tabla nach Indien. Hinduistische Ragas, die frei übersetzt den Geist mit Freude färben sollen, erklangen im barocken Kirchenschiff. Nach den hinreißenden Melodien aus Fernost ließ dann der Italiener Leonardo Carrieri die historische Orgel erklingen und erfüllte das Gotteshaus mit Werken italienischer Komponisten vergangener Jahrhunderte. Dann stellte sich der bulgarische Kammerchor „Vassil Arnaoudouv“ aus Sofia auf. Die 24 Frauen unter Leitung von Theodora Pavlovitch begeisterten mit reinster Intonation orthodoxer Werke von Koukouzeles bis Spassov. Fast zu lange dauerte das Konzert, das Publikum mochte sich nicht trennen. Die Begleiter der KulTTouR riefen hektisch in Füssen, der nächsten Station an, und baten um 15 Minuten Aufschub. Das Publikum im Kloster St. Mang war geduldig. Die bei jedem Konzert anwesenden Moderatoren erzählten den Wartenden über die anschließend zu hörende Musik aus Sardinien und dem Iran und deren Entstehungen. Bäuerlichen Ursprungs sind die Gesänge der „Tenores di Bitti“, die nur auf der Insel Sardinien verbreitet sind. Der Gesang besteht aus vier Männerstimmen, die einen sehr altertümlichen und gutturalen Klang haben und den Zuhörer sofort in ihren Bann ziehen. Die sufistischen Traditionen aus Persien wurden von Maryam Akhondy und dem Ensemble Barbadvorgestellt. Instrumentalstücke mit Santur, Tar und Laute wechselten sich mit Gesängen über Liebe und Gesprächen mit Gott ab. Dann wanderten die Teilnehmer der KulTTouR ins Refektorium, wo einst schon die Mönche speisten. Hier wartete ein delikates Abendmahl auf die internationalen Gäste, die sich angeregt über die erlebten Konzertstunden unterhielten. Der ersten KulTTouR am Samstag folgten noch zwei weitere am Sonntag und Montag. Insgesamt konnten so 10 der 11 Ensembles gehört werden.

Franz von Assis Worte vertont
Weiterer musikalischer Höhepunkt des Festivals war die Uraufführung des im letzten Jahr in Marktoberdorf komponierten Chorwerkes „De virtutibus effugantibus vitia“ von Gianfranco Grisi. Unter der Leitung des charismatischen Marc de Smet glänzte das „Goeyvaerts Consort“ aus Belgien. Das sich langsam dramatisch steigernde 8-minütige Chorwerk, auf einem Text des Heiligen Franz von Assisi basierend, wurde von den Belgiern virtuos intoniert. Sehr anspruchsvoll, gleichermaßen für Chor und Zuhörer, war das „Choir Concerto“ von Schnittke, ein weiterer Programmpunkt des „Goeyvaerts Consort“, wiederum aber perfekt von dem jungen belgischen Chor umgesetzt. Nahezu perfekt waren auch die „Publikumslieblinge“ des Ensembles „Rajaton“ aus Finnland. Ihre A-cappella-Lieder machten ihrem Namen, der übersetzt „grenzenlos“ heißt, zum Programm und alle Ehre. Farbenprächtig waren die buddhistischen Tempeltänzer aus Nepal. In vollkommenen Bewegungen zeigten sie göttliche Visionen ihres Glaubens, begleitet von Fingerzimbeln und Gesang. Synagogale Gesänge aus Wien und Berlin von Lewandowsky und Zultser brachte der Upper Galilee Choir aus Israel. Besonders der Vorgesang des Kantors Eliayahu Schleifer überzeugte das Publikum. Am liebsten mitgetanzt hätten die Besucher bei den Konzerten des Christ the King Church Choir aus Uganda. Lebendig und bunt mixten sie die Traditionen christlicher Musik mit den Gesängen ihrer Stämme.

Ein Requiem von heute
Unerhört, im besten Sinne des Wortes, war das Requiem des schwedischen Jazzmusikers Nils Lindberg. Klassisch aufgebaut mit überwiegend lateinischen Texten umschließt das Werk Big Band, großen Chor und Solisten. Unter Leitung von Fred Sjöberg aus Schweden gelang dem Landes-Jugendjazzorchester Bayern, dem Vocalensemble Landsberg, dem Carl-Orff Chor Marktoberdorf und den Solisten Gunnel Sjöberg, Stefanie Graßl und Michael Hanel eine großartige Zusammenarbeit. Die deutsche und österreichische Erstaufführung zog die Zuhörer vom ersten bis letzten Ton in ihren Bann. Ausschweifende Saxsoli ließen die Gedanken wandern, ein packendes Tuba mirum mit schwedischem „kulning“, später ein fröhliches Sanctus im Samba-Rhythmus gefolgt von einem düsteren Agnus Dei. „Lindbergs Requiem schafft es, den alten katholischen Totengesang für Menschen von heute verbindlich zu machen“, schreibt ein Kritiker, dem nur zuzustimmen ist.

und sonst?
Das war die Musik, doch was macht das Festival sonst noch aus? Großen Zuspruch fanden die begleitend angebotenen Vorträge: drei von Ensemble-Leitern zu ihren Musiken und Tänzen (buddhistischer Tempeltanz, Jüdische Traditionen und Orthodoxie) und zwei weitere von dem Mönch Bagdro aus Tibet und dem Religionswissenschaftler Prof. Michael von Brück. „Hat man die Musik erklärt bekommen, die Entstehung beleuchtet, kann man die Konzerte viel intensiver genießen.“, resümiert ein Besucher. Der Mönch Bagdro aus Tibet erzählte über seinen Weg zum Glauben, seine Verfolgungund seine Gefangenschaft. Unglaubliche Grausamkeiten geschehen heute noch und er will mit seinen friedlichen Waffen Liebe und Gerechtigkeit sein Volk befreien. Zum Abschluss des Festivals am Dienstag dann der Vortrag von Prof. Michael von Brück. Schon seine Lebensgeschichte macht ihn zum perfekten Vertreter für Musica Sacra International. Gebürtig in Dresden, hat er acht Jahre lang im Knabenchor gesungen und kann heute noch weite Teile der Bibel auswendig singen – und nicht sprechen, wie er selbst behauptet. Später interessierte er sich dann für Yoga und Zen-Buddhismus, studierte lange Jahre in Indien und Japan. In Marktoberdorf sprach er über die Bedeutung geistlicher Musik und forderte die Zuhörer auf, sich mit den Religionen die hinter der Musik stehen, zu beschäftigen. „Man muss sich dem Kontakt mit anderen Kulturen bewusst stellen“, und appelliert gleichzeitig an seine eigenen Glaubensbrüder, „das Christentum sollte offener sein!“.

Was bleibt ...
Offenheit haben alle, die bei Musica Sacra International mitgewirkt haben, bewiesen. Besonders deutlich wurde dies auch an den allabendlichen Treffen in der Bayerischen Musikakademie Marktoberdorf. Von den verschiedenen Konzertorten im ganzen Allgäu zurückkehrend, trafen sich Ensemblemitglieder, Mitarbeiter und Gasteltern um Erlebtes auszutauschen und gemeinsam zu feiern. Fast unrealistisch wirkten die dabei entstandenen Szenen internationaler Verbrüderungen über alle Glaubensgrenzen hinweg. Sollte es nicht möglich sein, diesen friedlichen Mikrokosmos auf die Welt auszudehnen? Das bleibt die Aufgabe eines jeden einzelnen - Besuchern des Festivals Musica Sacra International wird es in Zukunft leichter fallen.

Das nächste Festival findet wieder 2006 über die Pfingsttage statt. Infos Telefon (0 83 42) 96 18-25, Internet www.modmusik.de

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