Beethovens Originalmanuskript zu seinem letzten großen Klavierwerk, den in vielfacher Hinsicht außergewöhnlichen Diabelli-Variationen op. 120, konnte 2009 vom Bonner Beethoven-Haus erworben werden. Namhafte Künstler, zahlreiche öffentliche und private Förderer sowie Stiftungen, Banken und Unternehmen hatten in einer beispiellosen Gemeinschaftsaktion diesen spektakulären Ankauf ermöglicht. Nun liegt das einzigartige Manuskript in einer hochwertigen Faksimile-Ausgabe vor.

Seinem Auftrag entsprechend bemühte sich das Beethoven-Haus darum, die Neuerwerbung möglichst bald der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Handschrift der Diabelli-Variationen wurde digitalisiert und ist bereits im „Digitalen Archiv” über das Internet einsehbar. Eine Faksimile-Ausgabe sollte ebenfalls dazu beitragen, dass sich Musiker, Wissenschaftler, Musikliebhaber und bibliophile Sammler auf individuelle Weise diese faszinierende Werkstatt-Handschrift aneignen können. Heute stellten die beiden Herausgeber, Bernhard Appel und Michael Ladenburger, das gerade erschienene Faksimile der Diabelli-Variationen vor. Bernhard Appel leitet die wissenschaftliche Forschungsstelle im Beethoven-Haus und betreut den hauseigenen Verlag, Michael Ladenburger ist Leiter des Museums und Kustos der Sammlungen.

Beethovens Originalhandschrift umfasst 86 beschriebene Seiten. Sie enthält im Anschluss an das vorgeschaltete Blatt mit dem vorgegebenen Diabelli-Thema den vollständigen Zyklus von 33 Variationen einschließlich einiger Einlageblätter. Diese Handschrift diente als mittelbare Stichvorlage für die 1823 im Verlag Cappi und Diabelli in Wien erschienene Originalausgabe und wird im 1. Teilband der Faksimile-Ausgabe wiedergegeben. Der 2. Teilband enthält die Wiedergabe eines Exemplars der Originalausgabe, das Beethoven eigenhändig mit einer Widmung für den fürstlich Lobkowitzischen Kassabeamten Wenzel Kaspar von Damm versehen hat. Damit stehen zwei authentische Quellen für einen direkten Vergleich zur Verfügung.

Die Ausgabe enthält außerdem zwei ausführliche Kommentare: Der amerikanische Musikwissenschaftler William Kinderman betrachtet das Autograph im werkgenetischen Kontext von mehr als einem Dutzend Skizzen- und Entwurfshandschriften. Die Struktur des Autographs, seine besonderen Schreibmerkmale und einige textkritische Probleme werden von Michael Ladenburger und Bernhard Appel erläutert.

Die Originalhandschrift der Diabelli-Variationen erlaubt einen tiefen Blick in Beethovens Werkstatt. Sie zeigt sehr anschaulich, wie der Komponist gearbeitet hat, wie er in mehreren Arbeitsschritten durch Ergänzungen, Streichungen, Überklebungen, Einlegeblätter u.a.m. um die Fassung letzter Hand gerungen hat, die seiner strengen Selbstkritik standhielt. Seine Handschrift schwankt zwischen Disziplin, die dem Wunsch geschuldet ist, eine gut lesbare Reinschrift zu erstellen, und großer Spontaneität und Expressivität. Der Schreibduktus verrät viel über Beethovens musikalische Intentionen. Das Manuskript ist somit auch ein Spiegelbild von Beethovens komplexer Persönlichkeit.

Die Handschrift war von Anbeginn an höchst attraktiv. Der Initiator des Variationenzyklus’, Anton Diabelli, wollte das Autograph unbedingt besitzen und schützte vor, es als Verleger des Werks als Eigentumsnachweis zu benötigen. Tatsächlich gelang es ihm, Eigentümer der Handschrift zu werden. Später war sie im Besitz zweier prominenter Autographen-Sammler: Heinrich Steger in Wien und Louis Koch in Frankfurt a.M. Danach war das Manuskript lange Jahre in unzugänglichem Privatbesitz, bevor es Ende 2009 in die Sammlung des Beethoven-Hauses in Bonn kam, wo es sich in guter Gesellschaft mit zahlreichen anderen wertvollen Handschriften befindet.

Bereits unmittelbar nach Gründung des Vereins Beethoven-Haus im Jahre 1889 wurde mit dem Aufbau einer Sammlung begonnen. Heute gilt sie als die umfangreichste und vielfältigste Beethoven-Sammlung der Welt. 150 Objekte daraus sind in der Daueraustellung des Museums im Geburtshaus Beethovens zu sehen.
Wissenschaftler arbeiten im Beethoven-Archiv, der Forschungsstelle des Beethoven-Hauses, an der Erschließung. Die Ergebnisse der Forschung werden im Verlag des Beethoven-Hauses veröffentlicht und in Gesprächskonzerten im Kammermusiksaal einem breiteren Publikum vorgestellt. So wird Beethovens Werk im Beethoven-Haus auf umfassende Weise erschlossen, präsentiert, interpretiert und vermittelt.