Die weitere Entwicklung von Musik‐, Tanz‐ und Kunsttherapie sowie eine berufsrechtliche Regelung waren Hauptthemen einer Expertenrunde Ende September in Witten. Auf Einladung der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft (DMtG) und der Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien (BAG KT) berieten über 20 Expert.innen aus Ausbildungsinstitutionen, Verbänden und Berufspolitik über die Themen Qualitätssicherung in der Ausbildung und berufliche Verankerung von Musik‐, Tanz‐ und Kunsttherapie im Gesundheitswesen.
"Künstlerische Therapien sind seit Jahrzehnten in multiprofessionelle Teams in Kliniken und Reha‐Einrichtungen eingebunden“, sagt Beatrix Evers‐Grewe, Vorsitzende der BAG KT: Musik‐, Tanz‐ und Kunsttherapeut.innen versorgen vor allem Patient.innen, denen es schwerer fällt, sich sprachlich zu ihrer Erkrankung zu verständigen. Sie sind hier Türöffner für die Bearbeitung seelischer Probleme. Sie können besondere Ressourcen entfalten und Nöten jenseits der Sprache Ausdruck verleihen. Das schaffen die sprachbasierten Psychotherapien oft nicht allein.“
Seit 40 Jahren gibt es akademische Ausbildungen für Kunst‐ und Musiktherapeut.innen. Künstlerische Therapien sind in vielen medizinischen S3‐Leitlinien aufgeführt. Die Therapeut.innen versorgen zum Beispiel Krebspatient.innen, neurologisch erkrankte Patient.innen bei Schlaganfall oder Parkinson, Kinder und Jugendliche, Patient.innen mit psychosomatischen Störungen sowie bei psychiatrischen Diagnosen von Angst‐ bis Zwangserkrankungen. Sie arbeiten auch in Einrichtungen für von Demenz Betroffene oder in Palliativ‐ wie auch in Frühgeborenenstationen. Evers‐Grewe: "Nun muss Patientenschutz und die therapeutische Qualität gewährleistet und überprüft werden können und dazu braucht es gesetzliche Regelungen für die Künstlerischen Therapien. Bei einer anstehenden Neuordnung der Gesundheitsberufe in der nächsten Legislaturperiode muss das beachtet werden“.
Berufsrechtliche Regelung
Deshalb fordert jetzt der Expertenrat der Künstlerischen Therapien nicht nur eine berufsrechtliche Regelung für die etwa 5.000 Künstlerischen Therapeut.innen in Deutschland, sondern auch einen geregelten Zugang zu allen Sektoren des Gesundheitswesens, nicht nur in Kliniken, sondern auch im ambulanten Bereich.
"Der Gemeinsame Bundesausschuss (G‐BA) muss diese Aufgabe erledigen“, sagt Prof. Dr. Lutz Neugebauer, Vorstandsvorsitzender der DMtG. "Dabei geht es um drei Aspekte: Erstens muss der Ausschluss für Musik‐ und Tanztherapie aus der Heilmittelrichtlinie (Heilm‐RL) aufgehoben werden. Der G‐BA kann ja aktuell dafür gar keine Begründung liefern und er erneuert ihn doch seit 1992 immer wieder! Das ist absolut unverständlich und nicht nachvollziehbar. Zweitens muss der G‐BA realisieren, dass bei den Berufen, die die Heilmittelrichtlinie regelt, Musik‐ und Tanztherapie gar nicht dabei sind! Das erscheint mir sehr widersprüchlich. Und drittens: Es gilt doch nach SGB V "Ambulant vor stationär!“
Künstlerische Therapien sind neue Gesundheitsberufe
Neugebauer fordert deshalb, dass diese Regelung auch für die Künstlerischen Therapien gelten müsse, damit auch die besonderen Belange von behinderten und chronisch kranken Menschen berücksichtigt werden können. "Zweifellos bieten die nicht‐sprachlichen Verfahren von Musik‐, Tanz‐ und Kunsttherapie hier besondere Potentiale. Das bestätigen nicht nur die Rückmeldungen der Patient.innen, sondern auch die vielen internationalen wissenschaftlichen Ergebnisse“, so Neugebauer.
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hatte bereits im Juli 2019 in einem HTA‐Gutachten Musiktherapie als eine "neue Profession“ bezeichnet – die weder dem ärztlichen noch dem pflegerischen Beruf zuzuordnen sei und an der Rechtfertigung des Ausschlusses aus der Heilm‐RL seitens des Gemeinsamen Bundesausschusses gezweifelt. Prof. Neugebauer sieht den G‐BA in der Pflicht, Änderungen vorzunehmen: "Der G‐BA reagiert seit über einem Jahr nicht auf das Gutachten und ignoriert die wissenschaftlichen und berufspolitischen Entwicklungen der letzten 30 Jahre auf dem Gebiet der Künstlerischen Therapien. Ich finde das einen Skandal – gerade auch, weil ‚sozioökonomisch benachteiligte Personen‘, da schließe ich mich dem IQWiG an, durch so erfolgreiche Maßnahmen, wie die Künstlerischen Therapien es sind, ambulant nicht versorgt werden können.“
Konsens zur Ausbildungssituation
Die Expertenrunde der Musik‐, Tanz‐ und Kunsttherapie erarbeitete beim Wittener Prozess auch einen Aktions‐ und Zeitplan und verabschiedete einen Konsens zur Ausbildungssituation der Künstlerischen Therapien. "Ein erster berufsqualifizierender Abschluss wird auf dem Bachelorniveau erlangt“, bestätigt die Professorin für Kunsttherapie an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen, Dr. Constanze Schulze‐Stampa: "Mit unserer Vereinbarung dazu können nun alle Ausbildungsinstitutionen für Künstlerische Therapien bis zum Frühjahr 2021 ein abgestimmtes Rahmencurriculum detaillierter ausarbeiten, das wesentliche Inhalte und den Erwerb von Grundkompetenzen in Credit Points erfasst“. Darüber hinaus verpflichten sich die Teilnehmer.innen zu Maßnahmen der Qualitätssicherung in Studium, Weiterbildung, Fortbildung und Berufsausübung. Im März 2021 soll eine weitere Erklärung des Wittener Prozesses folgen.