Der Vorsitzende des Digitalausschusses von ARD und ZDF, SR-Intendant Fritz Raff, hat davor gewarnt, weniger wohlhabende Bevölkerungsschichten von den Vorteilen der digitalen Informationsgesellschaft abzukoppeln. Anders als in Amerika sei Rundfunk in Deutschland vor allem ein Kulturgut, nicht nur ein Wirtschaftsgut, sagte Raff anlässlich der IFA in Berlin. Die Digitalisierung müsse einen "Mehrwert für alle" schaffen und dürfe nicht als reines Mautsystem missbraucht werden: "Der Begriff ,Grundverschlüsselung’ ist Etikettenschwindel."

Derzeit gehe es Satellitenbetreibern und privaten Rundfunkveranstaltern um die Vorbereitung von umfassenden Pay-TV-Strukturen, die mittelfristig das Ende der in Deutschland breit gefächerten Free-TV-Landschaft bedeuteten.
Raff forderte die Medienpolitik auf, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die öffentlich-rechtlichen Programme auch in der digitalen Welt unverschlüsselt frei empfangbar und leicht auffindbar bleiben. Während bei den privaten Anbietern mit neuen Pay-TV-Geschäftsmodellen der shareholder value im Mittelpunkt stehe, seien die öffentlich-rechtlichen Sender dem public value verpflichtet, sagte Raff beim Presseforum der Produktions- und Technikkommission von ARD und ZDF (PTKO).

Angesichts der von Astra, RTL und anderen vorangetriebenen Entwicklung erhält das digitale Antennenfernsehen eine völlig neue Bedeutung. "DVB-T könnte langfristig zum Synonym für frei empfangbares Fernsehen werden", erläuterte Joachim Lampe, Produktionsdirektor des NDR, beim PTKO-Presseforum. Bereits jetzt könnten 70 Prozent der deutschen Haushalte die Programmbouquets von ARD und ZDF digital über Antenne empfangen, bis zur IFA 2006 seien über fünf Millionen Empfangsgeräte dafür gekauft worden.
Der von ARD und ZDF angestrebte Flächenausbau mit DVB-T werde vor dem ursprünglich angestrebten Jahr 2010 erreicht werden. Allerdings sei die Politik in der Gebührendebatte gefordert, so Lampe, damit das "Überall-Fernsehen" in allen Regionen und auch für den portablen Empfang realisiert werden könne.

Für die Rundfunkversorgung im mobilen Bereich setzen ARD und ZDF neben DVB-T auf die Rundfunkstandards DMB und DVB-H. Öffentlich rechtliches Prinzip auch hier: die unverschlüsselte Ausstrahlung und die kostenfreie, d.h. ohne programmbezogenes Entgelt, Empfangbarkeit für den Nutzer. Da auch Mobilfunkunternehmen diese Technologien mit eigenen Plattformen nutzen, bedarf es aus Sicht von ARD und ZDF einer klaren Abgrenzung von Rundfunk und kommerziellen Angeboten Dritter. Erste Erfahrungen belegen, dass es neben technischen vor allem rundfunkrechtliche Probleme zu lösen gelte. Vielfaltsicherung dürfe nicht kommerziellen Plattformbetreibern überlassen werden. Um den Vorrang des Rundfunks vor Telediensten sicher zu stellen, müsse mit allen Beteiligten ein Nutzungs- und Frequenzkonzept für digitalen Rundfunk abgestimmt werden.

Die Forderung nach freier Empfangbarkeit ihrer Digital-Bouquets beziehen die Öffentlich-Rechtlichen auch auf den neuen Übertragungsweg IP-TV. Die Möglichkeit, künftig Digitalfernsehen und Digitalradio breitbandig über die Telefonleitung zu übertragen, werde von der ARD und ZDF als Innovation aktiv unterstützt, sagte Oliver Werner, WDR-Chefingenieur, in Berlin. Mehrere Telekommunikationsunternehmen sind derzeit dabei, die technische Infrastruktur für IP-TV über DSL-Netze aufzubauen. Die Leistungsfähigkeit von Bild- und Tonqualität sowie praktikable Umschaltzeiten müssten jedoch noch getestet werden.

"IP-TV über DSL-Netze kann als eine neue Form von interaktivem Kabelfernsehen betrachtet werden", erläuterte Werner. Der permanent verfügbare Rückkanal sei vorteilhaft für die Entwicklung interaktiver Funktionen wie Televoting oder On-Demand-Dienste. Allerdings eröffne die Information über jeden Tastendruck auf der Fernbedienung dem DSL-Provider rein technisch völlig neue Möglichkeiten zum Sammeln von Nutzungsdaten, gab Werner zu bedenken. Dies stelle eine neue Herausforderung an den Datenschutz dar.

Dass technische Innovationen vom Publikum angenommen werden, machte ZDF-Produktionsdirektor Andreas Bereczky deutlich: In deutschen Haushalten werden bis Ende 2006 mehr als zwei Millionen HDTV-fähige Displays stehen und rund 25 Prozent der TV-Geräte das 16:9-Format empfangen können. Diese Techniken ermöglichen brillantere Bilder und ein kinoähnliches Seherlebnis. ARD und ZDF sind dabei, vermehrt Produktionen im HDTV-Standard zu realisieren. Dies sei zwar derzeit noch teurer als die Herstellung herkömmlicher TV-Programme, gleichzeitig jedoch international Grundvoraussetzung für die Weiterverwertung von Produktionen.

Bei ARD und ZDF seien laut Bereczky die Olympischen Sommerspiele 2008 in Beijing als möglicher Termin für eine erste HDTV-Ausstrahlung im Gespräch. Konkrete Szenarien für ein umfänglicheres HDTV-Angebot von ARD und ZDF würden aber erst dann spruchreif, wenn erkennbar werde, dass auch die Verbraucher in diese neue Technik investieren. Bereczky schränkte jedoch ein: "Wenn sich der Analog/Digital-Umstieg aufgrund der Verschlüsselungstendenzen und der damit verbundenen Marktverunsicherung verzögert, wird sich das nachteilig auf die Markteinführung von HDTV auswirken."

Herbert Tillmann, Vorsitzender der Produktions- und Technikkommission von ARD und ZDF, bezeichnete die Digitalisierung der Übertragungswege als große Herausforderung für alle Beteiligten: "Bei allen ehrgeizigen Geschäftsmodellen sollte nicht vergessen werden, dass der Verbraucher immer das letzte Wort haben wird, er muss vom persönlichen Mehrwert überzeugt sein. Dazu ist ein überzeugendes Programmangebot notwendig. Das geht nicht alleine über Hochglanztechnologien oder Zwangsverschlüsselung.
Marktentwicklung an den Zuschauern oder Kunden vorbei wird nicht funktionieren."

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