Im Vorfeld der Wiederaufnahme von Francis Poulencs Dialogues des Carmélites in der Inszenierung von Dmitri Tcherniakov an der Bayerischen Staatsoper fordern die Erben von Komponist Francis Poulenc und Autor Georges Bernanos eine Abänderung der Inszenierung oder die Unterbindung der vier ab dem 23. Januar angesetzten Aufführungen der Oper. Nikolaus Bachler, Intendant der Bayerischen Staatsoper, besteht auf der künstlerischen Freiheit: "In der Hand der Künstler sind große Werke besser aufgehoben als in den Händen der Erben. Bühnenkunst wird durch freie Interpretation am Leben erhalten, nicht durch vermeintliche Rechtsansprüche."
Der Forderung der Erben, die kurz vor Weihnachten an die Leitung der Staatsoper herangetragen wurde, geht eine längere rechtliche Auseinandersetzung voraus. Schon zur letzten Wiederaufnahme des Werkes im November 2012 war in Paris eine Klage unter Berufung auf das Urheberpersönlichkeitsrecht anhängig, mit der weitere Aufführungen untersagt werden sollten. Außerdem wurden die Produktionsfirma BelAir Media und der TV-Sender MEZZO verklagt mit dem Ziel, den Vertrieb der DVD bzw. die Ausstrahlung der in München aufgezeichneten Aufführung zu unterbinden. Die Nachkommen sind der Auffassung, dass die Umsetzung der Schlussszene durch den Regisseur Dmitri Tcherniakov das Werk von Bernanos und Poulenc abwandelt und entstellt. In der Neuinterpretation des russischen Regisseurs, die im März 2010 Premiere hatte, rettet die Hauptfigur Blanche de la Force ihre Mitschwestern vor dem Tod und kommt als Einzige ums Leben. Nach Meinung der Erben muss der Märtyrertod aller Nonnen zwingend szenisch umgesetzt werden, um die Kernaussage des Werkes zu treffen.
In erster Instanz wurde die Klage abgewiesen. Das Tribunal de Grande Instance de Paris stellte ausdrücklich fest, dass die Inszenierung die Themen, die den Kern des Werks bilden, respektiert. In zweiter Instanz vor dem Cour d`Appel de Paris (Berufungsgericht) wurde die Klage gegen die Staatsoper erneut abgewiesen. Stattgegeben wurde der Klage in Bezug auf die Sendungen durch MEZZO-TV und den Vertrieb der DVDs. Die Bayerische Staatsoper beteiligt sich aus grundsätzlichen Erwägungen an der Beschwerde von BelAir Media gegen das Urteil beim Cour de Cassation (höchstes Gericht Frankreichs für zivilrechtliche Verfahren). In einem Schreiben vom 23. Dezember 2015 fordern die Erben, dass es "nicht zu weiteren Nutzungen der sie in ihren Rechten verletzenden Aufführung des Werkes" kommen soll. Die Staatsoper hält eine Verletzung der von den Erben geltend gemachten Urheberpersönlichkeitsrechte für ausgeschlossen. Text und Musik der Oper sind völlig unverändert. Der Streit bewegt sich vor allem um die Frage, ob das szenische Geschehen zu hundert Prozent dem historischen Ablauf entsprechen muss. Dazu Roland Schwab, Geschäftsführender Direktor der Bayerischen Staatsoper: "Im Rahmen einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Werk muss die Regie die Freiheit haben, von der Historie abzuweichen. Dadurch wird das Werk nicht entstellt, sondern seine Gedanken aus heutiger Sicht dargestellt." Die Aufführungen am 23., 28. und 30. Januar sowie am 1. Februar werden daher wie geplant und in Dmitri Tcherniakovs unveränderter Inszenierung stattfinden.