In einem offenen Brief nimmt der Hochschulrat der HfM FRANZ LISZT Weimar Stellung zum „Appell der Zwölf“ vom 26.6.2024:
Sehr geehrte Damen und Herren der „Zwölf Appellierenden“,
mit Verwunderung lesen wir, d. h. die Mitglieder des Hochschulrats der HfM FRANZ LISZT Weimar, Ihren Appell, der vermuten lässt, dass Sie sich nicht umfassend über die Weimarer Sachlage informiert haben, über eine Situation, die im übrigen keineswegs einmalig ist.
Als Vorsitzender des Hochschulrats möchte ich Ihnen dazu folgendes schreiben:
In Weimar zeigt sich schon seit Jahren ein Trend – übrigens schon eindeutig vor Corona –, der auch in ganz Deutschland zu beobachten ist, nämlich ein Rückgang an Bewerbungen für das Studium sogenannter „Alter Musik“. Weshalb die Frage naheliegt und mehrfach so nicht nur in Weimar gestellt wird, ob es nicht sinnvoller wäre, nicht an jeder Hochschule, sondern an Zentren das Hauptfachstudium der Historischen Aufführungspraxis anzubieten, dort dann mit „Breite“ und „Tiefe“.
An nicht wenigen Deutschen Musikhochschulen zeigt sich die Bewerbungssituation ähnlich problematisch. Sogar an der Scola Cantorum Basiliensis sollen Rückgänge der Bewerbungen zu beklagen sein. Und als Nebenbemerkung, aber für mich dazu gehörend: Dass, wie zu hören, die musikwissenschaftliche Fachwelt mehr und mehr aufhört, sich für Forschung des Mittelalters zu interessieren und dieses Wissen den Kellerräumen des Kulturellen Gedächtnisses anheim gibt, empfinde ich als ein äußerst ernst zu nehmendes Warnzeichen einer gestörten Erinnerungskultur.
Neue Zentren für Historische Aufführungspraxis mit der Möglichkeit tiefer greifender Forschung könnten solchen Mangel auffangen, nicht aber unvollständig aufgestellte Ausbildungsangebote an allen Hochschulen, die sich zudem fast nur auf das Repertoire des Spätbarock beziehen.
So geht es in Weimar also weniger um Kritik an der Lehr-Qualität - und um das Ende der „Alten Musik“ schon gar nicht –, sondern mehr um ein überregional faktisches Problem der rückgängigen Bewerbungen.
Wenn bei der Aufnahmeprüfung freie Plätze nicht besetzt werden können, dann ist eine Hochschulpräsidentin aufgerufen, d. h. verpflichtet, haushaltsverantwortlich darauf zu reagieren.
Dass das Präsidium der HfM FRANZ LISZT Weimar dabei ist, ein Alternativkonzept zu erarbeiten, das, curricular geregelt, allen „modern“ Hauptfachstudierenden die Qualifikation für differenzierte Stilistik des 17., 18. und 19. Jahrhunderts ermöglichen soll, ist – mit Verlaub – für Deutschland als durchdachtes Konzept erstmalig, reflektiert die gegebene Konzertsituation, dass sinfonisches Repertoire mehr und mehr stilistisch historisch differenziert gespielt wird und wäre auch ein Beispiel dafür, endlich die bislang an den Hochschulen strikte Trennung zwischen „Alt“ und „modern“ zugunsten der Notwendigkeit historischer Differenzierung zu überwinden.
Wie gesagt jedoch vorausgesetzt, dass gleichzeitig (!) an bestehenden Zentren qualifizierte Hauptfachstudien in historischer Aufführungspraxis und Forschung angeboten werden. Aber eben nicht überall. Dies zwischen den Bundesländern (bzw. Hochschulgesetzen) zu verhandeln, wäre nebenbei ein Beispiel für die Überwindung manch unnötiger förderativen Abgrenzung.
Wenn in der Presse in Bezug auf Weimar vom Ende der Alten Musik die Rede war und ist, in der FAZ sogar von Entsorgung (sic!) der Alten Musik geschrieben wird, dann sollte auf den Unterschied von Alte Musik und „Institut für Alte Musik“ hingewiesen werden.
Ich bin mir auf der Grundlage eigener Erfahrungen der Relevanz „Alter Musik“ sehr wohl bewusst, auch wenn ich den weiterhin gebrauchten Begriff „Alte Musik“ für historisch überholt halte - den Begriff, nicht die Musik bzw. Aufführungspraxis! - und mich auch wundere zu lesen, dass sich das Weimarer Institut selbstbeschreibend für die Pflege der Musik des 16. bis 18. Jahrhunderts verpflichtet fühlt. Und des 19.? Und des 20.? Und des 13., 14. und 15. Jahrhunderts? Solche inhaltlichen Debatten könnten erkenntniserweiternd sein, finden nach meiner Beobachtung aber nicht statt.
Ein faktischer Zustand aber wie der in Weimar, der das Ministerium veranlasst, die Hochschulfinanzierung zu reduzieren, das ist leider und wirklich etwas ganz Anderes – wie ebenfalls der Zustand, dass mangels genügender Bewerbungen keine exzellenz-orientierte Auswahl mehr möglich ist, sondern genommen werden muss, wer kommt – so eben auch der Zustand an nicht wenigen Musikhochschulen. Die exzellenz-orientierte Auswahl aber ist noch immer ein Grundanspruch jeder deutschen Musikhochschule. Und so auch in Weimar.
Und außerdem: Ein wenig mehr Selbsthinterfragung bzw. Verantwortung seitens der Lehrenden, die öffentlich bezahlte Professuren innehaben, darf man sich doch auch wünschen, oder?
Mit besten Grüßen im Namen des Hochschulrats der HfM FRANZ LISZT Weimar,
Dr. Rüdiger Nolte
Vorsitzender