Der Deutsche Bühnenverein hat auf seiner gestrigen Jahreshauptversammlung in Hamburg einen erweiterten Wertebasierten Verhaltenskodex verabschiedet. Standen in der 2018 entwickelten ersten Fassung sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch im Fokus, adressiert der neue Kodex nun weitere Dimensionen von Diskriminierung und nimmt Theaterleitungen und Rechtsträger stärker in die Pflicht. Ebenfalls verabschiedet wurde eine neue Satzung für den Verband. Nach der Entscheidung von 2019, das Präsidium des Bühnenvereins doppelt und paritätisch zu besetzen, legt die neue Satzung Schwerpunkte auf Geschlechtergerechtigkeit in Gremien und auf neue Gruppenstrukturen, die der Praxis an Theatern und Orchestern besser entsprechen.
Marc Grandmontagne, Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins: „Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Debatten haben wir 2018 einen Kulturwandel angestoßen und mit der Gründung der Vertrauensstelle Themis, dem ersten Wertebasierten Verhaltenskodex und dem Beschluss zu geschlechterparitätischer Gremienbesetzung einen Prozess der Veränderung im Bühnenverein und in den Häuser in Gang gesetzt. Dabei war von Anfang klar, dass echte Veränderungen nur gemeinsam mit den Trägern zu erreichen sind. Mit den gestern in Hamburg beschlossenen Vorhaben gehen wir diesen Weg konsequent weiter.“
Dr. Carsten Brosda, Präsident des Deutschen Bühnenvereins: „Mit dem neuen wertebasierten Verhaltenskodex und der neuen Satzung geht der Deutsche Bühnenverein zwei große Schritte in die Zukunft. Der Modernisierungsprozess wird weiter gehen. Wir haben vereinbart, dass wir auf der Grundlage des Kodex Handlungsempfehlungen entwickeln werden, wie seine Inhalte gelebte Realität werden können. Dabei stehen sowohl die Träger und Gesellschafter als auch die Leitungen der Häuser in der Verantwortung. Es geht um Auswahlprozesse, um Schlüsselkompetenzen, um Zielvereinbarungen, um innerbetriebliche Vereinbarungen, um die konkrete Vertragsgestaltung und um Schulungsangebote. Wir werden in den kommenden Monaten einen Werkzeugkasten entwickeln, mit dem wir den Kodex durchsetzen können. Auch das ist konkrete Arbeit an der gesellschaftlichen Relevanz der Theater, Orchester und Festivals.“
Um die betrieblichen und künstlerischen Leitungen bei der Umsetzung des erweiterten Verhaltenskodex zu unterstützen, werden die Gesellschafter:innen und Träger verstärkt eingebunden.
Der erste Wertebasierte Verhaltenskodex des Deutschen Bühnenvereins wurde vielfach Teil von Veränderungsprozessen in den Häusern, die ihn an ihre jeweilige Situation vor Ort angepasst haben bzw. daran noch arbeiten. An einer Umfrage der Intendant:innengruppe des Deutschen Bühnenvereins haben sich 70 Theater und Orchester beteiligt, die den Kodex auf unterschiedliche Weise aufgegriffen und weiterentwickelt haben. Neben der Entwicklung von Leitlinien, dem Abschluss entsprechender Betriebsvereinbarungen und struktureller Maßnahmen zur Prävention, ging es dabei vor allem um eine erweiterte Kommunikation zu den im Kodex verankerten Problemfeldern. Als Beispiele für einen komplexen Umgang mit dem Kodex nennt die Intendant:innengruppe das Staatstheater Braunschweig, das Staatstheater Nürnberg, die Stiftung Oper Berlin, das Landestheater Marburg sowie die Münchner Kammerspiele mit Schauburg München und Otto-Falckenberg-Schule. Diese Häuser stehen mit ihren Organisationsformen und künstlerischen Ausrichtungen in diesem Zusammenhang auch für die Verschiedenartigkeit der Theater und Orchester insgesamt.
Das Präsidium des Deutschen Bühnenvereins hat auf seiner Sitzung im Vorfeld der Jahreshauptversammlung als neuen Vizepräsidenten Hasko Weber, Intendant des Deutschen Nationaltheaters & Staatskapelle Weimar und Vorsitzender der Intendant:innengruppe im Deutschen Bühnenverein, gewählt.
Weiteres Thema der Jahreshauptversammlung war die Corona-Pandemie. Mithilfe des von Kulturstaatsministerin Monika Grütters und dem Bühnenverein konzipierten Förderprogramms „Back to stage“ im Rahmen von „Neustart Kultur“ konnte es gelingen, die Infrastruktur der Privattheater zu erhalten. Aller Voraussicht nach wird die nächste Förderperiode auch das Kalenderjahr 2022 umfassen. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie spricht der Deutsche Bühnenverein sich für bundesweit einheitliche Maßgaben aus. Höchste Priorität sei, das Ansteckungsrisiko für Besucher:innen und Theaterschaffende so gering wie möglich zu halten, um einen reibungslosen Betriebsablauf gewährleisten zu können. Nach wie vor herrschen zwischen den einzelnen Bundesländern große Unterschiede bei der Umsetzung der Hygienemaßnahmen.
Dr. Carsten Brosda: „Nach der schmerzhaften Zeit der Corona bedingten Schließungen fährt der Bühnenbetrieb überall endlich wieder an. Wir brauchen diese starke Stimme im gesellschaftlichen Diskurs. Es ist wichtig, dass die Theater, Orchester und Festivals sicher planen können und verlässliche Rahmenbedingungen haben – sowohl mit Blick auf die aktuelle Coronalage als auch für die Zeit danach. Das gilt vor allem auch für den Umgang mit 2G- und 3G-Regeln und die sich daran knüpfenden Unterstützungsleistungen. Vor allem aber gilt weiter, dass der Kultur am meisten geholfen ist, wenn sich möglichst viele impfen lassen.“
Zu den Zukunftsthemen Klimaschutz und Nachhaltigkeit hat es sich der Bühnenverein zur Aufgabe gemacht, die Theater und Orchester bei Konzepten für nachhaltige Produktionsweisen und Arbeitsabläufe zu unterstützen. Mit einer eigens dafür entwickelten Webinar-Reihe werden die Bühnenvereins-Mitglieder ab November 2021 die Möglichkeit haben, sich mit Fachleuten auszutauschen. Zudem engagiert sich der Verband in mehreren Netzwerken zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit.