Mit dem MW:M Live Showcase Festival endete gestern Abend die achte Ausgabe der Berliner Musikwirtschaftskonferenz Most Wanted: Music, die das Gelände der Kulturbrauerei vom 26. - 28. Oktober für drei Tage zum Treffpunkt der nationalen und internationalen Musikbranche machte. Pandemie-bedingt war die Besucher:innenzahl vor Ort beschränkt, das Programm wurde daher erneut online über eine interaktive Konferenzplattform übertragen. Die Besucher:innen konnten aus über 70 Sessions und 20 Satellite Events mit insgesamt 170 Speaker:innen auf sechs Bühnen wählen. Begleitet wurde die Hauptkonferenz durch die feierliche Verleihung der listen to berlin: Awards, Satellite-Partnerevents in der ganzen Stadt sowie dem Showcase-Festival MW:M Live.

"Wir hatten an den drei Tagen on-site in der Kulturbrauerei und online über die verschiedenen Events hinweg ca. 2000 registrierte Teilnehmer:innen. 1300 User:innen haben die digitale Konferenzplattform genutzt, was eine Steigerung von über 30% im Vergleich zum letzten Jahr ist. Zusätzlich kommen noch diejenigen hinzu, die unsere frei zugänglichen Angebote bei YouTube und Facebook genutzt haben. Die erneute Steigerung der Nutzer:innenzahlen sowohl unserer Offline- als auch unserer Online-Angebote zeigt, dass der hybride Charakter der Veranstaltung gut angenommen wurde. Wie sehr sich hybride Events auch nach einem hoffentlich bald vollständigen Ende der Pandemie noch durchsetzen werden, wird allerdings erst die Zukunft zeigen", resümierte Most Wanted: Music-Direktor Stephan Hengst.

Ziel des umfangreichen Programms war es, die Teilnehmer:innen auf den Wandel der Branche – sei es durch die Pandemie, gesellschaftliche Transformationen, den Klimawandel oder technologische Innovationen – vorzubereiten. In seiner Eröffnungsrede reflektierte Olaf “Gemse” Kretschmar, Vorstandsvorsitzender der Berlin Music Commission: “Die Branche ist in der Krise erwachsen geworden. Sie hat gelernt, sich besser zu organisieren, lange bestehende Gräben zu überbrücken und zusammenzufinden, um sich in Richtung Gesellschaft und Öffentlichkeit als eine Branche zu positionieren. Das müssen wir auch weiterhin machen, weil wir nur so den nötigen Druck gegenüber der Politik aufbauen können, um Unterstützung für den notwendigen Wandel unserer Branche zu erhalten und uns zukunftsfähig aufzustellen.” Neben Weiterbildung und Diskurs dient die Konferenz daher vor allem als Plattform, um die verschiedenen Akteur:innen der Musikwirtschaft – von den Musiker:innen bis zu den Wissenschaftler:innen; vom Nachwuchs bis zu den Entscheider:innen – zusammenzubringen. Die Freude darüber, dass dies nach 18 herausfordernden Monaten wieder physisch möglich war, prägte auch den Spirit der Veranstaltung vor Ort. 

HIGHLIGHTS – IMPACT: Der Einfluss neuer Geschäftsmodelle und musikalischer Ökosysteme 

Michela Magas, Innovationsberaterin der Europäischen Kommission, zeigte in ihrer Eröffnungs-Keynote leidenschaftlich auf, wie Musik, Kreativität und technologische Innovation in der Branche zusammen spielen: "Musik ist unser sozialer Klebstoff, und die Vielfalt unserer Gemeinschaft ist von größter Bedeutung. Wenn wir gefragt werden, was passieren wird, sagen wir immer: 'Wir sagen die Zukunft nicht voraus... wir erfinden sie.'"

Die Möglichkeiten für Musiker:innen, mit ihrer Musik Geld zu verdienen, haben sich in den letzten Jahren drastisch geändert – gleichzeitig aber auch die Möglichkeit, Beziehungen zu Fans aufzubauen. Soweit, dass Mike Darlington, CEO von Monstercat in dem Panel, indem er mit Vertreter:innen von Spotify, Patreon und Soundcloud über die Potentiale neuer Einkommensquellen diskutierte, betonte, dass “man sich die Community und das Publikum selbst aufbauen kann.” Zumindest hierfür brauche man nicht zwingend ein klassisches Label.

HIGHLIGHTS –  ​​EXPERIENCE: Neue Wege und Erfahrungen für Musiker:innen und Publikum

Neue Erfahrungen konnten die MW:M-Besucher:innen in einer einzigartigen hybriden Musikaufführung des Projekts SoundFolds machen, die auf der Interaktion zwischen Körper, Stoff, Klang und Maschine basiert. Die Musiker:innen und Performance-Künstlerin Melissa Wedekind trugen mit Sensoren ausgestattete Kleidung, die ihre Bewegungen in Musik übersetzte und spielten beeindrucken mit dieser neuen Ebene der Klangerzeugung.

Ein zentrales Thema des diesjährigen MusicTech-Innovationslabors Hybrid Music Lab war der Einsatz von KI bei Musikproduktion – und welche künstlerischen, rechtlichen und philosophische Fragen damit einhergehen. "Wenn die Komposition von einer KI generiert wurde und nicht urheberrechtlich geschützt ist, dann haben Menschen, die diesen Song aufführen, möglicherweise auch keine Aufführungsrechte", gab die Urheberrechtsanwältin Sari Depreeuw in dem Panel “Generate Versus Create: Copyright Rules for Music AI and the Effect for the Creative Workflow” zu bedenken.

HIGHLIGHTS – TRANSFORM: Die Veränderung der Gesellschaft durch Musik – und umgekehrt 

Das Podium der Session "Amplifying BIPOC Voices in the Music Industry" zeigte sich einig: Taten sprechen noch immer nicht lauter als Worte. Christine Kakaire von Black Artist Database warnte davor, sich von "performativen Botschaften" ablenken zu lassen und schlug vor, stattdessen zu fragen: "Welche konkreten Handlungen finden statt? Denn erst dort vollzieht sich der Wandel". Femi Oyewole von Black Brown Berlin ergänzte, dass es sei wichtig sei, Kreativ- und Musikunternehmen zu hinterfragen, deren Botschaften nicht mit der tatsächlich von ihnen gelebten Vielfalt übereinstimmen.

NFTs (Non Fungible Token) als neue Art der dezentralen Musikdistribution zogen sich als ein weiterer roter Faden durch das Konferenzprogramm. Im Hybrid Music Lab betonte die preisgekrönte Musikerin und Community-Managerin der NFT-Plattform Async Art Terra Naomi, wie sie durch die Wiederveröffentlichung ihres Hits "Say It's Possible" als NFT "in einer Woche mehr Einnahmen erzielte als Universal Music damit in 15 Jahren". Neben diesen finanziellen Potenzialen beschrieb Michail Stangl (Zora/The Mint Fund) aber auch die gesellschaftlichen Auswirkungen einer “Web3-Solidarökonomie”.

In dem abschließenden Artist Talk reflektierte die palästinensische DJ Sama' Abdulhadi über ihr Leben als Teil der Techno-Szene und die Macht der Communities. "Im Techno ging es immer darum, Minderheiten zu unterstützen." Sama' zelebrierte in ihrem persönlichen und sehr bewegenden Einblick den Frieden, den diese Gemeinschaften für sie schaffen: "Wir leben in dieser verrückten Welt – aber wenn man auf ein Festival geht, ist das eine andere Realität. Die Menschen sind friedlich und man fühlt sich wohl in diesen Freiräumen. So sollte die Welt sein."

MW:M Live Showcase, listen to berlin: Awards und Satellite Events

Eröffnet wurde Most Wanted: Music traditionell mit der feierlichen Verleihung der listen to berlin: Awards. Diese ehrten unter anderem das Schwarze Kollektiv Freak de L’Afrique, das seit Jahren beharrlich Dancefloors, Bühnen und Freiräume für BIPoC in Berlin erkämpft. Den Preis für Nachhaltigkeit erhielt die Initiative Music Declares Emergency und DJ, Produzentin, Radiomacherin und Labelinhaberin Anja Schneider wurde mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet. Das Showcase-Festival MW:M Live bildete am 28. Oktober bereits zum dritten Mal den krönenden Abschluss der Konferenz mit Auftritten von fünfzehn Newcomer:innen – etwa dem belgischen Avantgarde-Hip Hop Quintett Glauque; Singer-Songwriter Phileas, der in seinen Texten gesellschaftliche Missstände thematisiert; Rapperin Caxxianne, die ebenfalls einen listen to berlin: Awards mit nach Hause nehmen konnte; sowie der Berlinerin Joplyn, die ihre futuristischen Clubsounds als “post-genre” beschreibt. Das MW:M21-Fokusland Niedersachsen präsentierte eine großartige Auswahl an Nachwuchskünstler:innen. Magische Momente ergaben sich etwa bei Band MODESHA, die ihr Live-Debüt bei MW:M gaben und den Brüdern Ottolien, die das Publikum mit großer künstlerischer Qualität in ihren Bann zogen.

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