Während sich an Deutschlands Küsten die Strände zusehends mit Besuchermassen füllen, die Transportfahrzeuge der ÖPNV-Betriebe werktags wieder auf eine normale Auslastung zulaufen, Flugzeuge bis auf den letzten Platz gefüllt in Urlaubsdestinationen abheben und sich vielerorts die Bevölkerung unbeeindruckt von Mindestabstandsregelungen und Hygienekonzepten bewegen kann, liegt die Veranstaltungswirtschaft weiterhin brach. "Der Wirtschaftszweig liegt völlig am Boden und sieht kein Licht am Ende des Tunnels. Wann Veranstaltungen bundesweit wieder zuverlässig geplant werden können, ist derzeit nicht absehbar. Wir gehörten zu den Ersten, die wirtschaftlich von der Krise betroffen waren und werden wohl die Letzten sein, die eine Rückkehr zur Normalität erleben“ sagt Prof. Jens Michow, Präsident des Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV).
16 unterschiedliche Landesverfügungen machen Tourneebetrieb unmöglich
Darauf, dass ein wirtschaftlich auskömmlicher Veranstaltungsbetrieb unter Einhaltung der Abstandsreglungen nicht möglich ist, hatte der BDKV bereits in verschiedenen Veröffentlichungen hingewiesen. "Selbst, wenn sich ein Veranstalter fände, der bereit wäre, unter Verlusten oder finanziert durch öffentliche Zuschüsse eine Tournee zu veranstalten: die 16 unterschiedlichen, in sich und untereinander widersprüchlichen Landesverfügungen erlauben keine einheitliche Durchführung von Tourneeveranstaltungen“, so der Verbandspräsident. Der Flickenteppich der Verordnungen habe nur zwei Gemeinsamkeiten: die Öffnung von Diskotheken und Clubs ist in allen 16 Bundesländern derzeit untersagt und bei erlaubten Veranstaltungen sind Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten.
Bereits am 04.06.2020 hatte der BDKV in seiner Veröffentlichung darauf hingewiesen, dass einheitliche Regelungen zwingend notwendig sind. Stand 29.06.2020 gelten u.a. folgende Unterschiede zwischen den Landesverordnungen:
Acht Länder unterscheiden Risiken innerhalb (weniger zulässige Teilnehmer) und außerhalb (mehr zulässige Teilnehmer) geschlossener Räume (BE, BY, HH, MV, NW, RP, SH, SL). Sechs Länder koppeln höhere Teilnehmerzahlen an unterschiedliche Formen der Registrierung oder Platzzuteilung (BW, BY, HE, HH, RP, SL). Vier Länder schränken Kapazitäten zusätzlich mit definierten Platzanforderungen in m² pro Besucher ein (HE, RP, SL, ST). Das Spektrum der maximal zulässigen Teilnehmerzahl reicht dabei von 50 (BY) bis 1.000 (BB, SN, TN) Teilnehmer innerhalb bzw. 100 (BW, BY, NW, ST) bis 1.000 Teilnehmer außerhalb (BB, BE, HH, SN, TN) geschlossener Räume.
Aktualisierungen von Verordnungen geschehen mit so kurzem Vorlauf, dass bereits deshalb jede Tourneeplanung unmöglich ist. So erlässt z.B. Hamburg erst am 30.06.2020 die ab 01.07.2020 gültige Folgeverordnung. Nur Baden-Württemberg zeigt aktuell einen Fahrplan für die nächsten Wochen auf: dort sind innerhalb wie außerhalb geschlossener Räume ab 01.07.2020 Veranstaltungen mit bis zu 100 Personen (Registrierung, Stehplätze) bzw. 250 Personen (Registrierung, Sitzplätze) und ab 01.08.2020 dann 500 Personen (nur Registrierung) zulässig. Auf einer solchen Basis ließe sich in der relevanten Größenordnung zumindest planen, wenn die Basis denn einheitlich wäre.
Das Ausland macht es vor
Dass einheitliche Regelungen möglich sind, zeigt der Blick ins benachbarte Ausland: "In keinem anderen EU-Land gibt es einen vergleichbaren Regelungs-Flickenteppich wie in Deutschland“, so Michow. Dänemark erlaubt seit dem 22.05.2020 bereits 500 Teilnehmer auf Veranstaltungen innerhalb und außerhalb geschlossener Räume mit der Zusatzforderung von 4m² (außerhalb) bzw. 2m² (innerhalb) Platzbedarf pro Teilnehmer. Selbst Spanien lässt seit dem 25.05.2020 wieder Veranstaltungen zu mit bis zu 50 Teilnehmern innerhalb und 400 Teilnehmern außerhalb geschlossener Räumlichkeiten. In Frankreich erlauben die für die Wiederöffnung von Konzerthäusern getroffenen Regelungen bereits wieder eine Tourneeplanung für Veranstaltungen.
Holland erlaubt als erstes EU-Land unter Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln bereits wieder unbegrenzte (!) Teilnehmerzahlen bei Veranstaltungen, wenn die Besucher sich zusätzlich vor dem Betreten der Veranstaltung einem Gesundheitscheck unterziehen.
Ungleichbehandlung der Veranstaltungsbranche zerstört die Kulturlandschaft
In vielen Arbeits- und Freizeitbereichen des öffentlichen Lebens kehrt – wie eingangs dargestellt – wieder Regelmäßigkeit, zum Teil sogar Normalität, ein. Im angrenzenden Ausland werden bereits landeseinheitliche Wege für die Durchführung von Veranstaltungen beschritten. Für Messen in Deutschland gelten offenbar andere Maßstäbe als für Großveranstaltungen allgemein. Währenddessen zerbricht die betriebliche und künstlerische Kulturlandschaft der Veranstaltungswirtschaft in Deutschland an einem Flickenteppich unabgestimmter Regelungswerke. "Es macht mich ärgerlich, wenn ich heute in einer Hamburger Tageszeitung die Überschrift lese: "Hamburg erlaubt Veranstaltungen mit bis zu 1000 Menschen“. Wenn man dann weiter liest, kommen die zahlreichen Einschränkungen: ‚im Freien‘, ‚mit festen Sitzplätzen‘, ansonsten sind auch im Freien nur bis zu 200 und in geschlossenen Räumen sogar nur 100 Personen erlaubt. Das erweckt den trügerischen Eindruck, dass auch die Veranstaltungsbranche auf dem Weg in die Rückkehr zur Normalität sei – mit Normalität haben solche Veranstaltungen aber absolut gar nichts zu tun“, so der Verbandsprädient. "Wir akzeptieren alle dem Infektionsschutz dienende Maßnahmen. Aber wir fordern die Ministerpräsidenten der Länder auf, sich endlich bei Veranstaltungsverboten und vertretbaren Lockerungen miteinander abzustimmen und sich im Interesse des Kulturbetriebs um Einheitlichkeit der Verordnungen zu bemühen“ sagt der Branchenexperte. "Von unserem Wirtschaftszweig ist die gesamte Musikwirtschaft abhängig. Davon leben über 150.000 Erwerbstätige und zigtausend ausübende Künstler und Musikautoren. Kommunen und Städte nehmen durch den Musiktourismus jährlich 5 Milliarden Euro ein. Ich würde mir wünschen, dass die Politik versteht, dass es hier nicht nur um die Zukunft der deutschen Konzert-, Tournee- und Festivalveranstalter geht, sondern dass ein großer Teil unseres Kulturbetriebs existentiell bedroht ist.“