In der Corona-Krise führte das Verbot des Präsenz-Lernens zu einem steilen Anstieg der Angebote an Online-Fortbildungen im Musikbereich. Institutionen, die bisher nicht in diesem Feld aktiv waren, übertrugen Fortbildungen ins Netz und entwickelten neue Formate. Lehrende, die noch nicht online unterrichtet hatten, konnten durch Fortbildungsanbieter teilweise mit gesonderten Schulungen dazu ermutigt werden. Die Mitarbeitenden der Bundes- und Landesmusikakademien etwa haben sich in vielen Fällen sehr rasch mit Hilfe von Tutorials und Online-Fortbildungen für diese neue Herausforderung fit gemacht. Die Alternativlosigkeit der Situation trieb auch Teilnehmende ins Netz, die diese Kurse erstmalig und ohne große Vorerfahrung mit digitalen Medien belegten. Und zahlreiche Themen, die sonst niemals für den Online-Unterricht in Betracht gezogen worden wären, wurden von den Anbietern in digitale Formate umgewandelt. [1] Knapp eineinhalb Jahre nach dem Beginn der Pandemie ist es so für viele Institutionen ganz selbstverständlich geworden, Online-Fortbildungen oder -Tagungen anzubieten.
Entwicklung
Schon vor der Corona-Krise gab es aber Online-Studiengänge, -Fortbildungen und -Unterricht. Bereits 2003 wurde der Begriff Webinar, also ein Seminar, das im Web gehalten wird, als Wortmarke eingetragen. Der Begriff wird nicht trennscharf genutzt: Es kann sich einerseits um online gehaltene Vorträge und Lehrveranstaltungen handeln, bei denen nur Lehrende und Präsentationen auf dem Bildschirm zu sehen sind. Ob 20 oder 200 Teilnehmende zugeschaltet sind, ist nur für den Anbieter erkennbar – eine eher anonyme Veranstaltung. Andererseits werden auch Formate als Webinar bezeichnet, bei denen Teilnehmende sichtbar sind und in Interaktion mit den Lehrenden treten.
Massive Open Online Courses (MOOCs) [2] – Online-Lernangebote ohne Zugangs- und Teilnehmerbeschränkung – gibt es seit 2008, seit 2012 werden sie zunehmend von Universitäten angeboten. [3] Diese Kurse sind häufig auch für Außenstehende kostenlos; erst wenn ein Zertifikat angestrebt wird, wird eine Prüfungsgebühr fällig. Eine Kombination von Video on Demand und Kursmaterialien haben kommerzielle Anbieter. [4] Persönlicher Kontakt zu den Lehrenden besteht bei MOOCs oder diesen Video-Kursen oftmals nicht.
Praxisbeispiel
Ein gelungenes Beispiel aus dem Musikvermittlungsbereich ist das seit 2014 in Großbritannien erprobte Projekt „Connect: Resound“, um Kindern im ländlichen Raum Instrumentalunterricht und Konzerte zugänglich zu machen.
Das Projekt beruht auf Online-Veranstaltungen und wurde nach einer Experimentierphase ab 2018 auf alle sogenannten Music Hubs in Großbritannien ausgeweitet.
Blended Learning wird die didaktisch sinnvolle Verknüpfung von traditionellem Präsenzlernen und sogenanntem E-Learning, also Lernen in Form von Einbindung digitaler oder elektronischer Medien genannt. [5] Hierzu kann auch der Einsatz von Musik-Apps gehören, die in unüberschaubarer Vielzahl zum Musizieren per Smartphone oder Tablet einladen und elektronische Musikerzeugung, Produktion und Bearbeitung möglich machen.
Neben dem Konzept des Blended Learning hat sich in letzter Zeit der Begriff hybride Fortbildung verbreitet. Zumeist ist die Kombination von Präsenz- und Online-Angeboten gemeint, die auch zeitgleich stattfinden können: Ein Teil der Teilnehmenden sitzt zuhause am Rechner, der andere im Kursraum, die gegenseitige Wahrnehmung ist per Online-Übertragung gewährleistet. Lehrende sind in der Regel in Präsenz zugegen.
Dies ist bei asynchroner Online-Lehre anders: Hier erledigen die Teilnehmenden jeweils eigenständig online Aufgaben oder werden per Video, über Texte o. ä. angeleitet. Die Gruppe und die Lehrenden treffen sich erst später wieder und tauschen sich über die erledigten Aufgaben und Übungen aus – dann befindet sich die Kursgruppe wieder in der synchronen Lehre und Lernen erfolgt im gemeinsamen Austausch, zeitgleich und mit einer Lehrperson.
Technik
Online-Kurse, in denen Kontakt und Interaktion zwischen Teilnehmenden und Kursleitenden integraler Bestandteil sind, gehen von der Prämisse aus, dass Lernen über Beziehungen erfolgt und dazu Begegnung unabdingbar ist. Für den Besuch solcher Kurse benötigen Teilnehmende einen Rechner oder ein Tablet oder ein Smartphone mit Kamera, Mikrofon und Lautsprecher. Zudem muss dieses Gerät internetfähig sein und eine entsprechende Bandbreite vorhanden sein, um alle notwendigen Signale erfolgreich übertragen zu können. Wenn Musizieren Bestandteil des Kurses ist, sollten auch Instrumente gut übertragen werden – hier empfiehlt sich dann der Einsatz eines hochwertigeren Mikrofons oder sogar mehrerer über Audio-Interfaces angeschlossener Mikros. Inzwischen nutzen manche Dozent*innen mehrere Kameras, um Teilnehmenden den Blick aus verschiedenen Perspektiven zu ermöglichen.
Neben dieser technischen Grundausstattung braucht es eine Anwendung, die eine Verbindung der gesamten Gruppe ermöglicht. Dies können Videokonferenz-Tools (Skype, Zoom, BigBlueButton, Jitsi, Microsoft Teams usw.) sein, aber auch Applikationen, die speziell für den Musikbereich entwickelt wurden: Doozoo, Jamulus, Digital Stage oder JamKazam. [6]
Leider ist es bisher nicht möglich, Bild und Ton mit handelsüblichen Rechnern und Netzverbindungen zusammen und ohne Verzögerung zu übertragen. Diese sogenannte Latenz erschwert das gemeinsam musikalische Interagieren. Anspruchsvolles rhythmisch genaues Zusammenspiel ist also auf dieser technischen Ebene (noch) nicht machbar. Allerdings kann bei höherem technischem Aufwand durchaus eine sehr viel genauere Übertragung erfolgen – die sogenannte Low Latency Technik, kurz LOLA, macht dies möglich. [7]
Methoden
Bei Online-Fortbildungen im Musikbereich geht es zumeist nicht so sehr um das gemeinsame Musizieren, sondern um (instrumental- oder vokal-)pädagogische, musikpsychologische, musiktheoretische oder auch anwendungsbezogene Themen. Plattformen wie die oben genannten ermöglichen methodisch vielfältige Herangehensweisen. Über eingeblendete Präsentationen kann die Vermittlung intensiviert werden, Kleingruppenarbeit wird über sogenannte Breakout-Sessions eingerichtet; auch Dokumente können die Beteiligten gemeinsam bearbeiten. Manche Anwendungen ermöglichen es, dass Teilnehmende oder Lehrende die eingerichteten Kleingruppen selbstbestimmt wechseln können.
Mit browsergestützten Plattformen wie Padlet, Mural, Lucidchart, Slack oder anderen können die Teilnehmenden gemeinsam Pinnwände gestalten, Notizen erstellen und dadurch kollaborativ Themen erschließen und bearbeiten. Hierdurch wird ihre Interaktion verstärkt und kooperatives Lernen auch online möglich.
Die Kombination von synchronem und asynchronem Lernen ist ebenfalls ein Mittel, um vielfältig methodisch zu arbeiten: Videos, die jede und jeder selbständig anschaut, werden mit einer Auswertung in der Gruppe kombiniert. Manche Lehrende nutzen Splitscreen-Videos, um gleichzeitig mehrere Instrumental- oder Gesangs-Stimmen einzuspielen. Dies ist ein probates Mittel, um Teilnehmenden zu ermöglichen, eine dieser Stimmen zu übernehmen und gleichzeitig die Gesamtheit der Musik ohne Latenz zu hören.
„Gelungene Fortbildungen leben nicht nur von guter Lehre, sondern auch von den Beziehungen, die zwischen allen Beteiligten aufgebaut werden.“
Kommunikation
Die Kommunikation zwischen Teilnehmenden innerhalb eines Online-Kurses muss gut durch die Gesprächsleitung oder allgemeine Regeln gelenkt werden, da nichts mehr zu verstehen ist, wenn mehrere Personen gleichzeitig sprechen. Normalerweise sollten alle Anwesenden außer dem jeweiligen Sprechenden ihre Mikrofone ausschalten, um Störgeräusche durch die Interferenzen der verschiedenen möglichen Klangquellen zu vermeiden. Zeichensprache als Mittel für Bestätigung, Zustimmung oder Ablehnung bürgert sich immer mehr ein – es ist nicht mehr notwendig, extra das Mikrofon einzuschalten und einen Kommentar abzugeben, wenn ein Handzeichen ausreicht.
Diese Grundlagen für das Verhalten in Online-Kursen, zu denen auch eine differenzierte Einstellung des eigenen Mikrofons [8] gehört, erfordern immer wieder technische Einführungen, bevor der eigentliche Kurs beginnen kann. All dies verlangt hohe Disziplin und führt häufig zu eher passiven Teilnehmenden. Ihre Aktivierung durch die jeweilige Kursleitung muss in völlig anderem Maße als bei Präsenzveranstaltungen erfolgen. Die dort in der Regel entstehende Gruppendynamik entwickelt sich bei Online-Kursen nur in sehr verringerter Form und benötigt andere Herangehensweisen. Nicht selten laufen Lehrende aus diesen Gründen in die Falle des puren Frontalunterrichts.
Gruppendynamik
Gelungene Fortbildungen leben nicht nur von guter Lehre, sondern auch von den Beziehungen, die zwischen allen Beteiligten aufgebaut werden. Idealerweise entsteht eine „community of practice“ [9]. Empfehlenswert ist es, maximal 20 Teilnehmende aufzunehmen, um genau diese Beziehungsebene zu ermöglichen – auch bei Online-Kursen. [10] Die nonverbale Ebene des Beziehungsaufbaus ist in Online-Formaten stark eingeschränkt. Gestik, Mimik, Körperhaltung und je nach Übertragungsqualität auch Klang der Stimme sind nicht ausreichend wahrnehmbar, zudem ist es ungewohnt und oftmals anstrengend, die Gesichter sämtlicher Teilnehmenden gleichzeitig frontal zu sehen. Inhalts- und Beziehungsaspekt einer Kommunikation stehen dadurch leicht in einem Missverhältnis. [11]
Der Gruppe fehlt in Online-Formaten der gemeinsame Raum, der als dritter Pädagoge auch in der Erwachsenenbildung eine wichtige Rolle spielt. [12] Alle Teilnehmenden befinden sich in unterschiedlichen Räumen mit voneinander erheblich abweichenden Umgebungsqualitäten. Somit ist die emotionale Verfasstheit der anderen Personen nicht so ganzheitlich wahrnehmbar wie bei physischer Präsenz. Dies wiederum erschwert die Resonanz zwischen den Anwesenden. [13]
Deshalb ist diese Art der Vermittlung für Lehrende, denen Interaktion und Beziehungen zwischen Teilnehmenden wichtig sind, eine hohe Herausforderung. Sie bedeutet ein ständiges Hineinhorchen und -spüren in sehr viele Räume und Zustände der einzelnen Teilnehmenden gleichzeitig. Hinzu kommen zusätzliche technische Aufgaben, wie das Einblenden von Präsentationen oder der Umgang mit einer schlechten Internetverbindung. Zudem schalten Teilnehmende ihre Videoübertragung aus und werden dadurch unsichtbar – dann ist unklar, ob sie noch zuhören oder ihren Bildschirm bereits komplett verlassen haben.
Um eine Art virtuellen gemeinsamen Raum zu schaffen, können Interaktionen wie Spiele oder Improvisationen in Fortbildungen eingebaut werden. Hier ist die Sichtbarkeit aller Teilnehmenden notwendig und erlaubt gemeinsame Aktion, eine Form des sich miteinander Einschwingens und dadurch die Entwicklung eines Gruppengefühls.
Themen
Es gibt eine Fülle musikbezogener Kursthemen, die online angeboten werden; sie ist aufgrund der Corona-Krise enorm angewachsen. Grob können sie in folgende Gruppen unterteilt werden:
- Pädagogische Kurse für Erzieher*innen und Musikpädagog*innen an Schule und Musikschule, beispielsweise zu Themen wie Online-(Instrumental)Unterricht, Singen in der Kita, Trommeln mit Kindern, Live-Arrangement u.ä. Diese Kurse können sich sowohl auf die Anwendung in Präsenzgruppen als auch auf Online-Lehre beziehen.
- Anwendungsorientierte Workshops zum Umgang mit digitalen Tools wie beispielsweise Notationssoftware, Video- oder Musikproduktions-Apps oder auch zum Umgang mit Aufnahmetechnik.
- Musikpraktische Kurse beispielsweise zu Gesangstechniken, zur Einführung in Instrumente und musikalische Praxen anderer Kulturen oder zu Liedbegleitung an Klavier oder Gitarre.
- Musiktheoretische Kurse: Einführung in Notenlehre, Gehörbildung, Arrangieren u.a.
- Beratungsorientierte Angebote wie beispielsweise Vereinspiloten-Kurse, Burnout-Prävention für Musiker*innen oder Umgang mit Datenschutz.
Die Nachfrage nach Online-Kursen ist hoch, sie sind – gerade in Zeiten des Lockdowns – häufig ausgebucht. Kurse, die die Online-Lehre an Musikschulen oder Schulen unterstützen, wurden besonders stark nachgefragt. Hier wurde die Not der Pädagog*innen, dieses ungewohnte Feld nutzen zu müssen, deutlich sichtbar. Musiktheorie lässt sich gut online unterrichten, da Notation, Musikbeispiele und Aufgaben per Bildschirm sehr direkt übermittelbar sind. Sogar Versuche im Bereich bewegungsorientierter Kurse im pädagogischen Bereich zu Themen der Rhythmik [14] oder des Kindertanzes sind entstanden – angepasst an die Möglichkeiten, die das Medium bietet.
Instrumental- oder Vokalkurse für die Verfeinerung von künstlerischen Fähigkeiten finden eher nicht online statt. Die Feinstofflichkeit exzellenter musikalischer Lehr- und Lernpraxis bleibt im Online-Stream kaum vermittelbar. [15] Dennoch wird aufgrund der Situation durchaus auch im Hochschulbereich digital unterrichtet – mitunter auch mit entsprechend angepasster Technik, die beste Übertragung ermöglicht. [16]
Eine besondere Chance von Online-Angeboten liegt in der internationalen Begegnung: Lehrende aus dem Ausland können bei entsprechender Internetverbindung sehr einfach für Kurse engagiert werden. Beispielsweise konnte die Landesmusikakademie Nordrhein-Westfalen einen Online-Kurs mit einer Live-Schaltung nach Argentinien durchführen, um das Thema Lateinamerikanische Chormusik mit der deutschsprachigen Dozentin Virginia Bono und ihrem Chor Estudio Coral Meridies anzubieten. Die online Teilnehmenden sangen gemeinsam mit dem argentinischen Kammerchor – natürlich bei ausgeschalteten Mikrofonen. [17]
Chancen und Risiken
Wie das letztgenannte Beispiel zeigt, bieten Online-Fortbildungen trotz der zahlreichen Einschränkungen auch Chancen. Die leichtere Zugänglichkeit ohne langes Reisen und dadurch geringeren zeitlichen Aufwand ermöglichen nicht nur vereinfachten internationalen Austausch, sondern gerade auch die Teilhabe von Personen, die aufgrund von Einschränkungen Schwierigkeiten haben, sich fortzubewegen. Hier spielt auch der finanzielle Aspekt eine Rolle: Online-Kurse sind in der Mehrzahl deutlich günstiger als Präsenzangebote, zudem fallen Reise- und ggf. Übernachtungskosten weg.
Insbesondere Themen, die sinnvollerweise eher in mehreren kurzen Terminen geschult werden, um zwischenzeitliches eigenes Üben zu ermöglichen (wie beispielsweise Gehörbildung, Rhythmusschulung oder stufenweise in digitale Anwendungen einführende Veranstaltungen), eignen sich für die Online-Lehre. Auch die Tatsache, dass man sich mit der Stimme, dem eigenen Instrument oder auch Bewegung nicht persönlich vor anderen zeigen muss, sondern „im stillen Kämmerlein“ die durch die Online-Schulung erhaltenen Impulse ausprobieren kann, ermutigt viele, sich zu Kursen anzumelden, die sie als Präsenzangebote nicht besucht hätten. Dies bedeutet allerdings, dass keine Kontrolle durch die Lehrenden erfolgen kann – für manche Teilnehmenden ein willkommener Umstand, für Lehrende eine große Herausforderung.
Zudem benötigt die methodische Aufbereitung von Inhalten eine neue Betrachtung und Fokussierung, denn die Dramaturgie eines Kurses ist von hoher Bedeutung, die nächste Ablenkung für Teilnehmende nur einen Klick entfernt. Ein Vorteil ist, dass Online-Kurse bei Zustimmung der Teilnehmenden sehr leicht aufgezeichnet werden können. Damit können Teilnehmende sich den Stoff ein weiteres Mal ansehen und Lehrende sich selbst nachträglich in ihrer Rolle betrachten und die eigene pädagogische Reflexion intensivieren.
In der Online-Lehre ist die Eigenverantwortung von Teilnehmenden deutlich höher, sie müssen sich ihren gewünschten Lernerfolg durch Beteiligung selbst erarbeiten und trotz möglicher Ablenkungen bei der Sache bleiben.
Ein Risiko, das häufig nicht ausreichend beachtet wird, ist der Datenschutz, der bei der datenintensiven Tätigkeit der Online-Lehre ein ganz eigenes Thema darstellt. [18]
Erfahrungen und Ausblick
Das Potenzial von Online-Fortbildungen ist hoch. Sie können aber Veranstaltungen mit Präsenz mehrerer Menschen im gleichen Raum nicht ersetzen. Dies trifft insbesondere auf die Bereiche gemeinsamen analogen Musizierens, der Gruppenleitung, des Dirigierens, des Tanzes und der Rhythmik zu. Überall, wo bis in das Mikrotiming hinein künstlerisch oder musikpädagogisch miteinander agiert wird, versagt die Übertragungsqualität des Netzes - noch. Denn aufgrund der rasanten technischen Entwicklung ist es gut möglich, dass das Latenzproblem bald gelöst ist. Allerdings fehlt dann immer noch der gemeinsame Resonanzraum für die künstlerische Interaktion der Teilnehmenden. Dies ist gerade in den darstellenden Künsten so essentiell, dass zu vermuten (und vielleicht auch zu hoffen) ist, dass dies technisch nie gelöst wird.
An den Bundes- und Landesmusikakademien besteht Einigkeit, dass theoretische Inhalte, auf verbalem Austausch basierende Themen und Vorträge auch künftig weiterhin online angeboten werden. Auch kurzfristige Treffen vernetzter Gruppen sind online viel leichter zu organisieren. Das Lernen voneinander in organisierten Strukturen wie zum Beispiel den Bundes- und Landesmusikakademien findet viel intensiver statt als vor der Pandemie.
Bei berufsbegleitenden Lehrgängen bleibt für die kostbare Zeit des physischen Zusammenseins mehr Zeit, wenn theoretische Fächer in Online-Einheiten ausgelagert werden. Es ist absehbar, an den Bundes- und Landesmusikakademien künftig eine Mischung von Präsenz- und Online-Lernen für umfangreiche Lehrgänge genutzt wird. Diese Form von hybrider, mit E-Learning angereicherter Lehre wird sich verstetigen und zu einer höheren Effektivität von Fortbildungen führen. Teilnehmende an Bundes- und Landesmusikakademien schätzen häufig gerade die Intensität des Austauschs und Lernens an einem besonderen Ort, der durch das gemeinsame Leben unter einem Dach erhöhte Fokussierung und einen Ausstieg aus dem Alltag ermöglicht.
An den Bundes- und Landesmusikakademien wurden in der Pandemie Online-Fortbildungen, die sich mit Stimmbildung, Gesangstechniken oder auch Einführungen in instrumentalpraktische Themen wie beispielsweise Liedbegleitung am Klavier befassen, enorm nachgefragt. Es scheint, als ob Laien leicht erreichbare, finanziell überschaubare und aus der sicheren Umgebung der eigenen Wohnung heraus besuchbare Fortbildungen sehr schätzen. Die Kontrolle, wie viel jemand von sich selbst zeigt und was lieber nur zuhörend und bei ausgeschaltetem Mikrofon ausprobiert wird, liegt bei solchen Angeboten stärker in den Händen der Teilnehmenden und ermutigt offenkundig Menschen, die sich nicht in eine Präsenzfortbildung getraut hätten.
Dass die Fortbildungsangebote insgesamt aufgrund dieser Ausweitung der Möglichkeiten bei den Bundes- und Landesmusikakademien nun zunehmen, ist allerdings nicht zu erwarten. Indem die Lage sich entspannt, besteht die Herausforderung darin, sowohl Präsenz- als auch Online-Fortbildungen mit dem gleichen Mitarbeiter-Stamm anzubieten. Da qualitätvolle Online-Schulungen auch erheblichen Organisations- und Betreuungsaufwand erfordern, kann dies nicht zeitgleich mit der Durchführung von Präsenz-Kursen erfolgen.
Zukunftsthemen, die künftig Einfluss auf die Online-Lehre gewinnen, sind weitere App-Entwicklungen, Gamification [19] sowie der Einsatz von Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR). [20] Online- und Präsenzformen werden zunehmend zusammenwachsen und sich vermischen. Die Auswahl an Formaten und Inhalten wird sich weiter verbreitern, so dass Lernende die Chance haben, ihren eigenen Lernweg zusammen zu stellen und mit hoher Eigenverantwortung selbst zu bestimmen, wann und wo sie in welcher Form teilnehmen. Dann werden Fortbildungsinstitutionen stärker als vorher als Berater und Begleiter gefragt sein. Zudem wird es spannend, in welcher Form künftig die individuellen Lernwege mit vergleichbaren Lernleistungen, Abschlüssen und Zertifikaten nachgewiesen werden können. Die veränderte Erwartung potenzieller Teilnehmender in Bezug auf eine Vielzahl von Fortbildungsformaten von Präsenz bis Online, kombiniert mit der Erwartung, Nachweise zu erhalten, wird Fortbildungsinstitutionen in Zukunft stark herausfordern.
Footnotes
So wandelte die Landesmusikakademie Nordrhein-Westfalen im April 2020 einen wöchentlich stattfindenden Stimmbildungskurs für Laien in ein Online-Angebot um – zuerst als Experiment. Inzwischen läuft die fünfte Auflage des sich über sechs bis zehn Kursabende erstreckenden Kurses, der immer ausgebucht ist.
S. https://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/zukunft-bildung/213450/glossar-moocs (Zugriff 01. April 2021).
www.edukatico.org ist ein Suchportal für Online-Kurse, das unter anderem MOOCs im Bereich Musiktheorie und Musikgeschichte auffindbar macht, die zumeist von britischen und amerikanischen Universitäten angeboten werden (Zugriff 01. April 2021).
https://www.udemy.com: 196 Kursangebote bei Suche nach „Musik“, über 5.800 Kurse bei Suche nach „Music“ – vorrangig Musiktheorie und Musikproduktion sowie Musiksoftware, aber auch Kurse zum Instrumentallernen, alle kostenpflichtig (Zugriff 01. April 2021).
Beispielsweise werden qualifizierende Lehrgänge der Amateurmusik an der Landesmusikakademie NRW kombiniert in Präsenz und im Eigenstudium zuhause online über www.detmoldmusictools.de durchgeführt.
Tipps hierzu gibt es über die Forschungsstelle Appmusik der Universität der Künste Berlin- Siehe http://forschungsstelle.appmusik.de/ (Zugriff 07. April 2021).
LOLA erlaubt eine fast zeitgenaue Übertragung. Das Institut für Musik und Medien an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf erprobte sie im Juni 2019, siehe: https://www.youtube.com/watch?v=IpDGFqOXfQM&t=5s (Zugriff 07. April 2021).
Empfohlen wird bei Musikkursen in der Regel, die Übertragung des Originalklangs einzustellen, um auch Klatschen, Body-Percussion, Instrumentengeräusche, Pianissimo-Stellen u. ä. hörbar zu machen. Videokonferenztools sind darauf ausgelegt, Sprache zu übertragen und blenden Geräusche häufig über Filter aus. Diese Filter werden bei Zoom durch die Einstellung „Originalklang“ deaktiviert.
Vgl. Felix Stalder: Kultur der Digitalität, Berlin 2016, S. 135, mit Bezug auf Jean Lave und Étienne Wenger: Situated Learning: Legitimate Peripheral Participation, Learning in Doing, Cambridge/New Your 1991, S. 71 und 98.
Anders ist dies bei Online-Tagungen, an denen weitaus mehr Menschen teilnehmen können. Sobald es aber um die gemeinsame Erarbeitung von Inhalten in Interaktion geht, werden auch hier kleinere Gruppen gebildet.
Vgl. Paul Watzlawick, Janet H. Beavin, Don D. Jackson: Menschliche Kommunikation, Stuttgart Wien 1969, S. 56.
Vgl. https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/werkstatt/278835/der-raum-als-dritter-paedagoge-ueber-neue-konzepte-im-schulbau (Zugriff 08. April 2021).
Vgl. Hartmut Rosa: Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehungen, Berlin 2016, S. 453 ff.
Siehe Erika Mzyk: Rhythmik online – geht das?, in: Bildungswerk Rhythmik, Report 57, 2021, S. 21.
Zitat Philipp Ludwig Stangl: Neuer Raum in neuer Zeit, in: nmz 12/20-1/21, Beilage Hochschulmagazin, S. 12.
Alexander Gorlatch; Klavierstudium trotz(t) Corona, nmz 12/20-1/21. Online unter https://www.nmz.de/artikel/klavierstudium-trotzt-corona (Zugriff 08. April 2021).
Vgl. das Feature von WDR3 hierzu: https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr3/wdr3-tonart/audio-chor-workshop-online---ein-selbstversuch-100.html (Zugriff 11. April 2021).
Vgl. Jörg Sommerfeld: Verkaufen wir unsere Schüler?, in: Üben und Musizieren 4/20, S. 32.
Vgl. Andrew King: Music Education and Virtual Reality, in: Thomas Busch, Peter Moormann und Wolfgang Zielinski (Hrsg.): Musikalische Praxen und virtuelle Räume, München 2020, S. 45.
Ebd., S. 42.