Am Sonntag, den 31. Januar 2010, ging die diesjährige Jahreskonferenz der Dramaturgischen Gesellschaft (dg) in Zürich zu Ende. Im Verlauf der dreitägigen Konferenz, die unter dem Motto „Vorstellungsräume – Dramaturgien des Raums“ stand, diskutierten über 230 Theatermacher, Architekten, Szenografen, Kunst- und Raumwissenschaftler über die Funktion und die Möglichkeiten von Theater und Kunst im öffentlichen Raum, die Bedeutung des Theaters als Raum, in dem Öffentlichkeit hergestellt wird, sowie über Raumkonzepte in der zeitgenössischen Theaterpraxis.
In seinem Eröffnungsvortrag zum „spatial turn“ in den Kulturwissenschaften umriss der Berliner Raumwissenschaftler Stephan Günzel aktuelle Raumtheorien als Leitwissenschaften für Diskussionen in Soziologie, Geografie, Kunstwissenschaft und Psycholgoie. Damit setze er den Rahmen für die folgenden zahlreichen Impulsreferate, Tischgespräche, Projektpräsentationen und Diskussionsrunden. Der Sozialgeograf Benno Werlen wies nachdrücklich darauf hin, dass Räume Produkte menschlichen Handelns sind, welches wiederum die Konstruktion gesellschaftlicher Räumlichkeit überhaupt erst ermöglicht. Er betonte daher die Notwendigkeit, öffentliche (Handlungs¬)Räume zu verteidigen und zu erobern.
In der Abschlussdiskussion am Sonntag diskutierten die Theaterleiter/innen Amelie Deuflhard (Kampnagel Hamburg), Carena Schlewitt (Kaserne Basel) und Dominique Mentha (Luzern) mit dem Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins Rolf Bolwin und dem Architekten Jörg Friedrich über Theaterräume der Zukunft. Sie betonten dabei die besondere Rolle des Theaters als Kunst-, Sozial- und Diskursraum, also als Ort gesellschaftlichen Handelns, dem in unserer Gesellschaft eine zentrale Bedeutung zukommt, die es vehement zu behaupten gilt, vor allem vor dem Hintergrund der derzeit geführten Spardebatten. Unsere Gesellschaft braucht Räume, in denen kollektives Handeln und Wahrnehmen möglich ist. Die Gestaltung der Theaterräume der Zukunft wird dabei den Ansprüchen einer sich stetig verändernden und ausdifferenzierenden Gesellschaft Rechnung zu tragen haben. Die hierfür benötigten Räume müssen gefunden, saniert, umgewidmet oder auch besetzt werden, da Theaterneubauten zukünftig wohl nur noch in Ausnahmefällen realisiert werden können.
Der Vorsitzende des Deutschen Bühnenvereins Rolf Bolwin forderte von der Kulturpolitik außerdem ein klares Bekenntnis zu den bereits existierenden Theatergebäuden – und damit auch ein Bekenntnis zum Theater selbst. Allerdings nahmen die Diskussionsteilnehmer auch die Theatermacher in die Pflicht, die ihnen bereits jetzt zur Verfügung stehenden Räume flexibler zu nutzen und selbst Visionen für neue Handlungs(spiel)räume zu entwickeln.
Zukunftsweisende Beispiele dafür, wie solche Umwidmungen erfolgen können, lieferten die auf der Konferenz anwesenden Künstler, darunter Benjamin Förster-Baldenius (Raumlabor Berlin), Penelope Wehrli (Berlin), Thomas Goerge, Bühnenbildner von Christoph Schlingensiefs Festspielhaus für Afrika, und der Animationskünstler Victor Morales (Freiburg).
Mit der hohen Teilnehmerzahl war die diesjährige Jahreskonferenz eine der erfolgreichsten in der Geschichte der Dramaturgischen Gesellschaft. Zugleich verzeichnet die dg mit über 550 aktiven Mitgliedern die höchste Mitgliederzahl seit ihrer Gründung. Das anhaltende Interesse gerade junger Theatermacher und Studierender trägt zu einer stetigen Verjüngung der dg bei und ist zugleich Ausdruck für die hohe Wertschätzung, die der Arbeit der dg beigemessen wird. Auf Einladung des Theaters Freiburg wird Freiburg Austragungsort der Jahreskonferenz 2011 der Dramaturgischen Gesellschaft sein.
Die Jahreskonferenz 2010 wurde in Zusammenarbeit mit dem Department für Darstellende Künste und Film der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) sowie dem Theaterhaus Gessnerallee und mit Unterstützung des Schauspielhauses Zürich durchgeführt. Zu den Förderern der Konferenz zählen neben der Schweizerischen Kulturstiftung pro helvetia und der Stadt Zürich auch die migros Kulturstiftung sowie der Deutsche Bühnenverein.
Das Dokumentationsheft zur Konferenz wird Ende April 2010 erscheinen.
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