Die Musikerinnen und Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden trauern gemeinsam mit Christian Thielemann über den Tod von Sir Colin Davis. Die Nachricht vom Ableben seines Ehrendirigenten erreichte das Orchester unmittelbar nach dem Konzert im Chicago Symphony Center, des ersten von insgesamt vier Konzerten auf amerikanischem Boden im Rahmen der aktuellen US-Tournee der Staatskapelle.
Es war im Jahr 1981, als sich Sir Colin Davis und die Musikerinnen und Musiker der Staatskapelle erstmals begegneten. Anlass war die Aufnahme später Mozart-Symphonien in der Dresdner Lukaskirche. Sir Colin hatte gerade das Londoner Opernhaus Covent Garden übernommen, war eher zufällig über Berlin nach Dresden gereist und staunte, wie grau die Stadt noch immer war. Er wohnte in einem Hotel, in dem hauptsächlich russische Gäste abgestiegen waren, und fühlte sich – so bekannte er Jahrzehnte später – »wie ein Fremder in der DDR. Doch als die Staatskapelle Mozart spielte, wusste ich sofort: Hier bin ich zu Hause. In diesen Klang habe ich mich sofort verliebt. In den gemeinsamen Proben waren kaum Worte nötig, wir verstanden uns allein durch die Musik.«
Unter der Leitung von Sir Colin Davis entstanden in den Folgejahren zahlreiche weitere Aufnahmen mit der Staatskapelle, die bis heute als Referenzeinspielungen gelten: die Opern »Der Freischütz«, »Die Zauberflöte« und »Hänsel und Gretel«, aber auch die Aufnahmen von Schuberts Symphonien und Werken von Berlioz, Sibelius und Elgar.
Sir Colin war der erste Engländer, der die Gedenkkonzerte zur Zerstörung Dresdens dirigierte – bewegende Momente für den Maestro und das Orchester. Ebenso wie der erste Auftritt der Staatskapelle bei den »Proms« in London, der von Davis initiiert wurde. Dazu zahlreiche Gastspielreisen durch Europa, die USA und Japan und erstmals in der Kapellgeschichte durch Südamerika. Mehr als 300 Aufführungen leitete Sir Colin am Pult der Sächsischen Staatskapelle.
Sir Colin ließ sich gern vom Repertoire der Kapelle inspirieren, erweiterte das Programm des Orchesters aber auch durch Musik seiner Heimat: Brittens »War Requiem«, Tippetts »A Child of Our Time«, die großen Werke von Elgar, Vaughan Williams, Walton oder Mac-Millan waren in Dresden lange unbekannt.
1990 wurde »der Sir«, wie die Kapell-Musiker den Dirigenten liebevoll nennen, zum ersten und bislang einzigen Ehrendirigenten in der Geschichte des Orchesters ernannt.
Zu seinem 85. Geburtstag erinnerten sich die Kapelle und Sir Colin an den gemeinsamen Weg mit einer Europa-Tournee unter dem Titel »Sir Colin at 85!«, bei der – wie konnte es anders sein – ausschließlich Werke des von Davis so verehrten Mozart auf dem Programm standen. Damals konnte noch niemand ahnen, dass dies die letzten gemeinsamen Konzerte von Sir Colin und der Staatskapelle sein sollten.
Die Musikerinnern und Musiker der Staatskapelle verneigen sich vor ihrem Ehrendirigenten. Als Zeichen des Dankes und der Freundschaft widmen sie die beiden Tourneeabschlusskonzerte am 17. und 19. April in der New Yorker Carnegie Hall dem Andenken ihres verstorbenen Ehrendirigenten.
»Sir Colin war ein ungemein liebenswürdiger und völlig unprätentiöser Mensch, der mit seiner Warmherzigkeit die Herzen aller sofort für sich gewann. Zwischen ihm und der Staatskapelle bestand ein künstlerischer Einklang, wie er nur ganz selten zu finden ist. Mit dem Tod von Sir Colin hat die Sächsische Staatskapelle nicht nur ihren Ehrendirigenten verloren, sondern vor allem einen einzigartigen Freund. Wir werden ihn nie vergessen.«
Christian Thielemann, Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden
»New York war für Sir Colin eine ganz wichtige Wirkungsstätte. Daher möchten wir die beiden Konzerte in der Carnegie Hall seinem Andenken widmen. Nach unserem letzten Besuch in London hatten wir die große Hoffnung, Sir Colin in der nächsten Saison wieder am Pult der Kapelle erleben zu dürfen. Er hatte sich schon ein Programm für dieses Konzert überlegt und wollte u.a. die »Linzer«-Symphonie von Mozart dirigieren. Dass es dazu nun nicht mehr kommen wird, macht uns alle sprachlos und erfüllt uns mit großer Trauer und Wehmut.«
Jan Nast, Orchesterdirektor der Sächsischen Staatskapelle Dresden
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