Die European Union of Arts hat dem deutschen Dirigenten Siegfried Heinrich den Gustav-Mahler-Preis zuerkannt. Die Überreichung wird in Prag am 1. April 2005 in der Kirche Simon und Juda im Anschluss an eine von Siegfried Heinrich dirigierte Aufführung von Bachs „h-Moll-Messe“ stattfinden.

Der Gustav-Mahler-Preis ist nicht Siegfried Heinrichs erste Auszeichnung: der Laureat ist Träger der Verdienstmedaille und des Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland. Aber die Ehrung durch die Evropská Unie uméni würdigt in besonderem Maße die jahrelange internationale Kulturarbeit des Siebzigjährigen. Denn lange Zeit vor der Wende hat Siegfried Heinrichs künstlerische Arbeit von der Festspielstadt Bad Hersfeld und von Frankfurt am Main aus Brücken über den tiefen Graben der politischen und ideologischen Grenzziehungen geschlagen. Brücken nach Dresden, wo er 1985 Monteverdis „Orfeo“ und „Die Krönung der Poppaea“ auf die Bühne der neu eröffneten Semper-Oper brachte, nach Warschau, Krakau und Kattowitz, wo er mit seiner Einrichtung von Mikołaj Ziełeńskis „Magnificat“, aber auch anderen Werken wie Honeggers „Johanna auf dem Scheiterhaufen“ überraschte, nach Budapest, wo er in der Franz Liszt-Akademie einen Zyklus von Bruckner-Symphonien dirigierte, und vor allem nach Prag.

Über immer neue Hindernisse und Demütigungen hinweg, mit denen die kommunistische Bürokratie seine „Ostkontakte“ erschwerte, hat er die Zusammenarbeit mit den Rundfunkorchestern und -chören erreicht. Regelmäßige Aufnahmen für das Fernsehen Warschau, Prag, Zagreb legen davon Zeugnis ab. Aber es gelang auch, tschechische, polnische und ungarische Orchester nach Deutschland und zu Tourneen durch das westliche Europa mit Siegfried Heinrich als Dirigenten zu verpflichten.

Die Segnungen des Kommunismus hat Siegfried Heinrich schon als Achtzehnjähriger erfahren, als dem Abiturienten des Dresdener Kreuzgymnasiums und Absolventen des Dresdener Kreuzchores das Dirigenten- und Kirchenmusikstudium in der DDR verwehrt wurde. Die „Republikflucht“ in den Westen wurde unumgänglich.

1961, Absolvent der Frankfurter Musikhochschule, machte Siegfried Heinrich die Bad Hersfelder Stiftsruine und Stadtkirche zum Ausgangspunkt von sinfonischen Festspielkonzerten, die alljährlich in oratorischen Aufführungen mit dem Hersfelder Festspielchor, dem auch der Frankfurter- und Marburger Konzertchor angehören, gipfelten und die auch regelmäßig in Frankfurt am Main von der Jahrhunderthalle Höchst und später von der Alten Oper übernommen wurden.

Neben den Repertoirewerken stehen Raritäten wie Monteverdis „Marienvesper“, Liszts „Heilige Elisabeth“ und Honeggers „Jeanne d‘ Arc“ auf dem Programm. Besondere Beachtung fand die deutsche Erstaufführung von Pendereckis „Lukas-Passion“ in München, Frankfurt am Main, Kassel und Hannover.

Seit 1973 leitet Siegfried Heinrich die Internationalen Bach-Tage in Hessen und Thüringen, die Ostern 2005 zum 32. Mal stattfanden. Hier ist von besonderem Interesse die künstlerische Darstellung des Gesamtwerkes Bachs und die Gegenüberstellung von Interpretationen in unterschiedlicher Besetzung: Frankfurter- und Posener Bachchor, Tölzer- und Posener Knabenchor, Alte und Neue Instrumente (Prager Bachorchester, Main-Barockorchester Frankfurt).

1980 wandelten sich die bisher konzertanten Opernaufführungen in szenische nach Aufführungen von Claudio Monteverdis „Orfeo“ in der Einrichtung und unter dem Dirigat Siegfried Heinrichs in einer viel beachteten Zusammenarbeit mit Regisseur Gustav Rudolf Sellner, dessen Inszenierung die Zuhörer in der Hersfelder Stiftsruine wie bei europäischen Festivals faszinierte.

Siegfried Heinrich erarbeitete sich seit 1980 ein Opern-Repertoire, das über Mozart und Weber, über Verdi und Bizet bis zu Richard Wagners „Der Fliegende Holländer“, Richard Strauss′ „Salome“ und zu Carl Orffs Oper „Die Kluge“ reicht. Fast alle Aufführungen finden in deutscher Sprache statt. Aufführungsstätte ist die romanische Stiftsruine, ein Ort von einzigartiger Ausstrahlung, der Publikum aus aller Welt anzieht. Mehr als 100.000 Besucher sind hier alljährlich begeisterte Hörer der Festspielkonzerte, der Opern- und Schauspielfestspiele.

Polnische Knabenchöre, die Rundfunkorchester aus Prag, Kattowitz, Luxemburg, Straßburg sowie die Sinfonia Silesia Kattowitz und das Dvořák-Sinfonieorchester Prag sind aus den Opern- und Konzertreihen Siegfried Heinrichs nicht mehr wegzudenken.

Der Gustav-Mahler-Preis ist auch darum eine Auszeichnung, die den Laureaten besonders erfreuen muss, weil Mahler in Heinrichs Repertoire einen Ehrenplatz innehat. Heinrich hat Teile von Mahlers symphonischen Werkes, „Die Wunderhornlieder“, „Die Lieder eines fahrenden Gesellen“, „Die Kindertotenlieder“ , „Die Rückert-Lieder“ und 1999 Mahlers „Achte“, die sogenannte „Symphonie der Tausend“ aufgeführt. Besondere Beachtung fand die Wiederbegegnung mit Mahlers „Das klagende Lied“ in der Alten Oper Frankfurt am Main.

Auch die tschechische Musik ist in seinen Festspielkonzerten reich vertreten, nicht nur in ihren Großwerken von Smetanas „Verkaufter Braut“ bis zu Dvořáks „Stabat mater“ und „Requiem“, sondern auch in den Sinfonien und in Raritäten (Zelenka, Tůma, Martinů).
Im Sommer 2005 wird Siegfried Heinrich wieder Dvořáks Symphonie „Aus der neuen Welt“ dirigieren.

Die Errichtung des Johann-Sebastian-Bach-Hauses Bad Hersfeld im Jahre 2004 bietet für diese kulturelle vielfältige Arbeit optimale Probenvoraussetzungen für bis zu 300 Mitwirkende im Bach- und 150 Personen im Mozartsaal.

Acht Monate jährlich steht das Bach-Haus als „Musische Bildungsstätte“ Solisten, Chören und Orchestern aller Nationen für künstlerische Arbeit offen. Siegfried Heinrich, dem „Spiritus rector“ des Bach-Hauses, der jahrzehntelang an der Kasseler Musikakademie Dirigieren sowie Chor- und Orchesterleitung lehrte, konnte die Errichtung des Bach-Hauses mit Hilfe des Landes Hessen sowie von Kreis und Stadt Bad Hersfeld verwirklichen. Wesentliche Unterstützung erhielt Siegfried Heinrich dabei durch das Präsidiums des Deutschen Musikrats.

Eine musikalisch-organisatorische Lebensleistung wie diejenige Siegfried Heinrichs wäre nicht denkbar ohne ansteckende Begeisterung und den Glauben an die Würde und die versöhnende Kraft großer Musik.

Siegfried Heinrich sieht diese Auszeichnung in besonderem Maße als Anerkennung für die mit ihm zusammenmusizierenden Solisten, Chöre und Orchester, aber auch als Dank an die vielen ehrenamtlichen Förderer, die diese Arbeit mittragen.