Abbildung: Portraitfoto Sybille Kornitschky
Warum die Wahl auf Deutschland fiel, erläutert die jazzahead!-Projektleiterin Sybille Kornitschky im Interview.  
Foto:  Kerstin Rolfes  /  M3B GmbH

Die jazzahead! 2023 wird in vielerlei Hinsicht anders: Hervorstechendstes Merkmal ist dabei die Wahl des Partnerlandes Deutschland, das dieses Mal identisch mit dem Gastgeberland ist. „Eine sogar überfällige Wahl“, sagt Sybille Kornitschky. Warum die Verantwortlichen sich so entschieden haben, das erläutert die Projektleiterin ausführlich im folgenden Interview – und auch, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. So stehen jetzt Kooperationen zwischen Deutschland und insgesamt vier anderen Ländern – Frankreich, Österreich, den Niederlanden sowie den USA – im Mittelpunkt, die so genannten „Commissioned Works“. Stattfinden wird die jazzahead! 2023 vom 27. bis zum 30. April auf dem Gelände der MESSE BREMEN. Das gesamte Interview lesen Sie bitte im Folgenden.

Schlicht gefragt: Partnerland Deutschland – warum?
Diese Entscheidung mag für manche überraschend klingen – für uns aber keineswegs, sondern sie war gewissermaßen sogar überfällig. Doch ich will weiter ausholen: Die Wahl des Partnerlandes treffen wir immer künstlerisch. Wir wollen einem Land und einer Szene damit international zu mehr Sichtbarkeit verhelfen – und zwar Ländern, von denen wir denken, dass sie diese Aufmerksamkeit einfach verdient haben.

Also ist Deutschland zu wenig sichtbar gewesen?
Definitiv! Und in diesem Sinne ist es mehr als überfällig, dass wir Deutschland diese Möglichkeit geben, sich als Jazz-Land zu präsentieren. Man muss wissen: Die deutsche Szene steht im eigenen Land in starker Konkurrenz zu Produktionen aus dem Ausland, weil ein Booking von ausländischen Bands aufgrund der Förderstrukturen für deutsche Veranstalter zum Teil lukrativer ist als deutsche Bands zu buchen. Deutschland ist ein sehr erfolgreiches Import-Land für Jazz aus aller Welt, aber eben noch nicht so stark im Export seiner eigenen Produktionen. Hier müssen wir einfach besser werden.

Die erneute Ausrichtung des Deutschen Jazzpreises in Bremen spielt in diesem Kontext sicher auch eine Rolle?
Ja, das ist ein wichtiger Grund für uns, diese Partnerlandwahl konkret ins nächste Jahr zu legen – ansonsten hätte man auch ein Jubiläumsjahr nehmen können. Aber diese zwei Dinge kommen da zusammen, und es macht natürlich maximal Sinn, dann das Partnerland Deutschland 2023 auszurufen.

Was sind die Gründe dafür, dass Deutschland als Export-Land noch nicht funktioniert?
Eine große Rolle spielt der Föderalismus – es gibt eben nicht wie in anderen Ländern diese eine nationale Stelle, an der alles zusammenläuft. Wir sind in Deutschland einfach noch nicht so aufgestellt wie andere Länder, die seit Jahren gut funktionierende Strukturen und Exportstrategien entwickelt und umgesetzt haben. Aber daran arbeiten wir in diesem Jahr intensiver denn je, zusammen mit der Initiative Musik oder auch dem Goethe-Institut. Ein Schlüssel in dieser Hinsicht wird auch die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sein, ein engerer Austausch, ein gemeinsames Wirken ist daher unser Bestreben.

An der Musik, an dem Produkt Deutscher Jazz liegt es sicher nicht…
Nein, auf gar keinen Fall. Da spielt Deutschland auf höchstem internationalem Niveau mit. Sowohl, was die Diversität, die Stilistiken, die Bandbreite an sich und die Größe der Szene anbelangt, müssen wir den Vergleich mit anderen Nationen in keiner Weise scheuen.

Wie seid Ihr an die Frage der Präsentation des Partnerlandes Deutschland herangegangen?
Uns war schon bewusst, dass wir intensiv darüber nachdenken müssen, wie wir ein Partnerland Deutschland präsentieren. Eins war klar: Es sollten jetzt nicht jenseits der acht Bands, die wir musikalisch ohnehin jedes Jahr im Rahmen der German Jazz Expo präsentiert haben, einfach nur ein paar mehr Bands sein. Das wäre viel zu kurz gegriffen. Hinter unseren Planungen steht der künstlerische Austausch. Wir sind darüber auf die Idee der „Commissioned Works“ gekommen. Wir starten deshalb bewusst mit Nachbarländern, mit denen es schon Austausch gegeben hat. Wir wollten etwas, das bereits existiert, neu beleuchten und wiederbeleben und haben uns daher für Frankreich, Österreich und die Niederlande entschieden. Weil wir dort Partner haben, die in der Lage sind, dieses Projekt nicht nur für die jazzahead! 2023 anzugehen, sondern auch darüber hinaus begleiten können.

Es geht also auch hier um Nachhaltigkeit…
…genau! Und wir haben ein viertes Land ausgewählt, für das wir nach Übersee gegangen sind, nämlich in die USA. Wir sind uns um die Bedeutung der USA für Jazzer:innen bewusst und arbeiten schon seit Jahren an dieser Brücke zwischen den US-amerikanischen Märkten und Europa, und da vor allem Deutschland. Unsere Hoffnung ist, dass wir diesen Brückenschlag vielleicht auf ein höheres Niveau heben können. Die USA bleiben definitiv ein Sehnsuchtsland. Keine Jazz-Metropole steht mehr für Jazz aus Amerika als New York, deshalb planen wir auch erstmalig einen Aufschlag in dieser Stadt, zum Zeitpunkt des Winter Jazzfests und der großen Performance Art Messe APAP im Januar.

Was wird in New York genau passieren?
Wir werden im Blue Note ein exklusives Vor-Premieren-Konzert von Ingrid Laubrock erleben, die die künstlerische Leitung der „Commissioned Work“ für die USA übernommen hat. Zwei Tage zuvor gehen wir ins Goethe-Institut, wo wir zu einer Gesprächsrunde mit Charlotte Greve, Ingrid Laubrock, Timo Vollbrecht und Tobias Meinhart einladen, alles deutsche Musiker:innen, die in den USA stark verwurzelt sind, da leben und arbeiten.

Welche Kooperationspartner gibt es in den Nachbarländern?
Für Frankreich ist das Jazzdor und damit verbunden Philippe Ochem, in dessen DNA es quasi liegt, diese Kooperation zwischen Deutschland und Frankreich zu leben. Wir haben in Österreich den Kooperationspartner mica, music austria, und mit Helge Hinteregger jemanden, der seit 30 Jahren besonders diesen kooperativen Gedanken pflegt. In den Niederlanden ist es die Organisation Buma Cultuur, deren Ziel es ist, den Anteil niederländischer Musik auf dem niederländischen Markt und auf ausländischen Märkten zu erhöhen. Mit Mark van Schaick haben wir dort einen Ansprechpartner, der im permanenten Austausch mit den Künstler:innen steht.

Und als Bandleader wurden jeweils Künstlerpersönlichkeiten aus Deutschland ausgewählt, die in den jeweiligen Ländern arbeiten…
Genau! In Österreich ist das der Saxofonist Heinrich von Kalnein, der die Szene kennt und bestens vernetzt ist. Der Vernetzungsgedanke war überhaupt das A und O. In den Niederlanden ist die Wahl auf den Schlagzeuger Felix Schlarmann gefallen, und in Frankreich auf den Saxofonisten Daniel Erdmann. In den USA haben wir mit Ingrid Laubrock erneut eine Saxofonistin als Bandleaderin. Wir haben die musikalischen Leitungen zusammen mit unseren Kooperationspartnern ausgewählt, sie selbst haben aber völlig freie Hand, was die Zusammenstellung der Ensembles betrifft, die hoffentlich über die jazzahead! hinaus Bestand haben.

Nimmt die jazzahead! die Rolle ein, die sonst Institutionen wie die Kanadische Botschaft, Music Finland oder das Adam-Mickiewicz-Institut innehatten?
Wir verstehen uns durchaus als die Exportplattform für deutschen Jazz, sind aber keine Fördereinrichtung. Aber wir suchen seit Jahren den Schulterschluss mit eben genau diesen. Unser Ziel ist es, die Zusammenarbeit zwischen den fördernden Institutionen weiter zu verbessern und gehen daher für das Partnerlandjahr Deutschland noch viel stärker in den Austausch.

Was sind die besonderen Programmpunkte im Rahmen des Partnerlandprogramms?
Das Programm wird erst Ende Februar feststehen. Wir gehen dabei ganz bewusst den Weg der Partizipation. Wir sind jetzt im Austausch mit vielen Institutionen aus Deutschland und haben sieben „Thementische“ entwickelt, zu denen wir einladen, um gemeinsam ein spannendes Programm auf die Beine zu stellen, das am Puls der Zeit ist.

Warum wurden die Programmlinien aufgelöst?
Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Der Donnerstag wird nun zum ganzen Messe-Tag, das heißt, er bekommt auch musikalisch die gleiche Gewichtung wie Freitag und Samstag. Wir wollten, dass Deutschland an jedem Tag der jazzahead! eine bedeutende Rolle zukommt. Und so werden diese „Commissioned Works“ über die Tage verteilt stattfinden. Wir finden aber auch, dass eine Durchmischung der Programmlinien für die Zuschauer einen Gewinn an Attraktivität bedeutet!

Letzte Frage: Was hat das Partnerlandjahr Deutschland für langfristige Auswirkungen auf die jazzahead!?
Uns war schon länger klar: Irgendwann werden wir mit unserem Konzept eines bestimmten Partnerlandes an Grenzen stoßen. Wir werden aber nicht darauf warten, bis wir alle 195 Länder, die es auf der Welt gibt, einmal als Partnerland durchhaben. Die Liste der Jazz-Nationen, die in der Lage sind, ein solch umfangreiches Projekt mit uns zusammen zu präsentieren, ist nun auch nicht endlos lang – also wollen wir neue Möglichkeiten schaffen. Man könnte zum Beispiel Regionen präsentieren oder Tandems. Das knüpft wiederum auch wunderbar an die Idee der „Commissioned Works“ an. Klar ist: Wir wollen in Zukunft andere Wege gehen und bereiten das jetzt bereits ein bisschen vor. Die jazzahead! war ja immer in Bewegung, keine Ausgabe war gleich, das hat sie auch über die Jahre immer erfolgreicher werden lassen.

Weitere Informationen zur jazzahead! unter www.jazzahead.de.

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