„Die gegenwärtige Energiekrise führt möglicherweise zu Engpässen in der Gasversorgung sowie zur extremen Verteuerung von Energie. Damit ist unumgänglich, dass sie auch den Kulturbereich hart treffen wird, von den Heizkosten kultureller Einrichtungen, der Bühnen- und Saalbeleuchtung bis zur Klimatisierung von Museen, Archiven und Bibliotheken und vielem mehr. Da ihr Verlauf und ihre Dauer gegenwärtig schwer abschätzbar scheinen, erfordert sie kluge Überlegungen zum Krisenmanagement.

Gleichzeitig fordert sie von uns, den Anlass zu nutzen, um auch mittel- und langfristige Lösungen zum ökologisch nachhaltigen Energie- und Gasverbrauch umzusetzen sowie an der Resilienz des Kulturbereichs zu arbeiten.“

Absätze
„Diese Energiekrise ist auch eine Kulturkrise, da sie nicht nur die Grundlagen unserer Wirtschaft und unserer Infrastrukturen erschüttert, sondern zwangsläufig auch das vermeintlich unverrückbare Bild stabilen Wohlstands.“
Autor
Dr. Tobias J. Knoblich, Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V.

„Diese Energiekrise ist auch eine Kulturkrise, da sie nicht nur die Grundlagen unserer Wirtschaft und unserer Infrastrukturen erschüttert, sondern zwangsläufig auch das vermeintlich unverrückbare Bild stabilen Wohlstands. Hat unser westliches Kulturmodell des Wachstums und der Ressourcenausbeutung angesichts der Klimakrise, zunehmender Migration und deutlicher Erosionserscheinungen in der demokratischen Verfasstheit bereits erhebliche Rissbildungen zu beklagen, fordert uns nun die Energiekrise umso deutlicher zu gesellschaftlichem Wandel, aber auch besonnenem Übergangsmanagement auf. Schließlich braucht es kurzfristig Schutzmechanismen für jene Grundlagen unseres Zusammenlebens, die zwar keine »Kritischen Infrastrukturen« darstellen, aber soziale Bindekräfte stimulieren. Einen wichtigen und zentralen Faktor stellt der Kulturbereich dar.

Hierbei ist klar: Kultur ist nicht das Surplus, das wir uns nach Überwindung aller Probleme leisten können. Vielmehr erbringt sie wesentliche gesellschaftliche Beiträge, die auch und gerade während schwieriger Krisensituationen erforderlich und hilfreich sind.

Die vor allem energiepreisbedingte Teuerungsrate wird die ohnehin vielerorts krisenhaften Haushalte der öffentlichen Hand extrem belasten und zu schwierigen Planungsbedingungen führen. Einsparungen, globale Minderausgaben, verschobene Investitionen und faktische Zuschusskürzungen werden die Folge sein, hinzu kommen Nachtragshaushalte, vorläufige Haushaltsführungen und Unsicherheiten insbesondere für all jene, die von öffentlichen Zuwendungen abhängen. Das betrifft die Kultur in Gänze und führt zu berechtigten Existenzsorgen. Geförderte freie Träger sind darüber hinaus besonders von Kostensteigerungen betroffen, da ihre ohnehin meist knappen Haushalte kaum Kompensationsmöglichkeiten erlauben.

Kulturausgaben und andere sogenannte freiwillige Aufgaben der öffentlichen Hand sind besonders gefährdet bei einer sich abzeichnenden Krise der kommunalen Haushalte, könnten aber selbst bei vollständiger Einsparung die Haushalte nicht in Ansätzen retten. Daher gilt es, einen Rahmen zu setzen, der unverhältnismäßige Härten verhindert und gerade in der Krise das gesellschaftliche Leben schützt. Zugleich aber sind auch vom Kulturbereich Krisenbeiträge einzufordern, er kann keinen pauschalen Schutzschirm reklamieren: Krisen müssen wir gemeinsam bewältigen.

Was ist zu tun?

  1. Die laufenden Spitzengespräche der Staatsministerin für Kultur und Medien (BKM), des Deutschen Städtetags und anderer gesamtstaatlich agierender Organisationen zur Sondierung kulturpolitischer Handlungsmöglichkeiten sind sehr zu begrüßen. Sie müssen schnell zu einem tentativen Ordnungsrahmen führen, an dem sich Bund, Länder und Kommunen bei ihrem Krisenmanagement orientieren können.
  2. Die geplanten »Rahmenempfehlungen« im Sinne dieses Ordnungsrahmens sollten den Begriff der kulturellen Grundversorgung wiederaufnehmen und mit ihm beschreiben, an welchen Eckpunkten sich ein Gemeinwesen im Krisenmodus orientieren kann. Es besteht sonst die Gefahr, dass es in der Kultur aufgrund des weitgehenden Fehlens gesetzlicher Normierungen zu substantiellen Schäden kommt. Dies wäre die Chance, an eine ältere Debatte anzuknüpfen und basale Leistungen für Krisenzeiten zu beschreiben – nicht hingegen Versorgungsstandards.
  3. Die Rahmenempfehlungen zur Kulturellen Grundversorgung sollten Aussagen enthalten zum Offenhalten von Kultureinrichtungen in der Krise, zum Status von Sonderveranstaltungen, zum Schutz von Kulturgut sowie konservatorisch-restauratorischen Bestimmungen, zu Notfallplanungen, zum Notbetrieb bzw. zu angemessenen Angebotseinschränkungen, zur Notwendigkeit konzeptbasierter Maßnahmen auf kommunaler Ebene (vs. pauschale Schließungen/Kürzungen), zur Weiterführung von Angeboten kultureller Bildung oder zur Gleichbehandlung der Kulturakteure in unterschiedlicher Trägerschaft.
  4. Diese Rahmenempfehlungen müssen insbesondere durch die Länder und die kommunalen Spitzenverbände stark kommuniziert und befördert werden. Idealerweise werden sie durch Hilfsprogramme für die Kommunen flankiert, damit diese ermutigt werden, in dieser außergewöhnlichen Stresssituation weiterhin gute Kulturpolitik zu betreiben.
  5. Der Kulturbereich muss sich wirkungsvoll und überlegt an der Einsparung von Energie beteiligen, zum einen während einer möglichen Gasversorgungsnotlage, zum anderen zur Vermeidung unverhältnismäßiger Kostensteigerungen im Bereich Energie. Kulturverwaltungen und andere Rechtsträger sind aufgerufen, dies planvoll, transparent und verhältnismäßig zu tun.
  6. Viele Kultureinrichtungen haben das Potenzial, als Dritte Orte zu fungieren oder füllen diese Rolle bereits aus. Sie sollten sich konzertiert auf eine kalte Jahreszeit einstellen, die Menschen mit unterschiedlichen Problemlagen vor verschiedene Herausforderungen stellen wird; hier können spezielle, niedrigschwellige Angebote für Begegnung und Austausch ein wichtiger Beitrag für die gesellschaftliche Krisenbewältigung und Zusammenhalt sein.
  7. Schon die Coronakrise hat uns gezeigt, wie wichtig Solidarität und Kooperation sind. Kulturakteure können durch stärkeren Austausch, Zusammenarbeit und gemeinsame Positionierung unterstreichen, dass die Sicherung unserer Lebensqualität nicht nur durch unverminderte Kaufkraft und unreflektiertes Wachstum bestimmt werden. Das gemeinsame Handeln, die gegenseitige Unterstützung sowie die Reflexion über die Qualitäten unserer Gesellschaft tragen dazu bei, Zuversicht, das Gefühl der Selbstwirksamkeit und die Ausschöpfung aller diversen Potenziale zu fördern. Der Kulturbereich stellt hier eine wichtige kommunikative und inhaltliche Kraftressource dar.
  8. Besonders der Staat ist gefordert, wie in anderen Krisensituationen (etwa der Banken- und Finanzmarktkrise, Flüchtlingskrise oder Coronakrise) Lasten für die Bürger*innen, aber auch vulnerable Bereiche wie die kulturellen Infrastrukturen abzufedern. Neben einem Orientierungsrahmen für kommunales Handeln können dies spezielle Förderprogramme oder Mechanismen zur Kostenerstattung sein, ohne die unabwendbare Mehraufwendungen zu Schließungen oder Insolvenzen führen würden.
  9. Die Bewältigung der Energiekrise sollte zum Nachdenken über weitergehende und zu mehr Nachhaltigkeit führende Transformationen im Kulturbereich genutzt werden. Zwar müssen wir jetzt schnell, aber nicht kopflos handeln. Die Grundzüge von Veränderungs- und Umbaubedarfen sind bekannt und stellen eine Grundlage für Transformationsprozesse dar.

Es steht anzunehmen, dass Krisen künftig nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein werden. Wir müssen daher unseren Begriff von Normalität neu skalieren und mehr Resilienz ausbilden. Neben den geforderten Unterstützungsleistungen ist es folglich auch notwendig, etablierte Praktiken zu hinterfragen, Verhalten und Gewohnheiten zu verändern und neue kulturelle Narrative eines gesellschaftlichen Wohlstands zu schaffen.“