Eine Frau liest an einem Tisch in einer Bibliothek Zeitschriften
Eine Nutzerin im Studiolo der Musikbibliothek der Stadtbibliothek Stuttgart  
Foto:  Günther Marsch
Öffentliche Musikbibliotheken stellen Musikinteressierten aus allen Teilen der Bevölkerung Medien für die praktische Musikausübung, für das aktive Hören von Musik und für das Lernen über Musik bereit. Sie unterstützen die musikalische Bildung als Bestandteil der kulturellen Bildung und sind Partner musikalischer Bildungs- und Kultureinrichtungen. Öffentliche Musikbibliotheken werden in der Regel als eigene Abteilung oder als eigener Bereich innerhalb eines kommunalen Bibliothekssystems geführt.

Aufgaben und Infrastruktur

Zielgruppen

Der potenzielle Adressatenkreis der öffentlichen Musikbibliotheken wurde bereits 1985 anhand statistischer Eckdaten des Musiklebens der Bundesrepublik Deutschland auf rund 20 Millionen Menschen geschätzt. [1] Das entsprach damals rund einem Drittel der Bevölkerung. Vergleicht man diese Eckdaten mit aktuellen Statistiken, dürfte auch im dritten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung dieser Proporz noch gelten. Demnach gehören heute rund 27,5 Millionen Menschen zum potenziellen Adressatenkreis der öffentlichen Musikbibliotheken in Deutschland.

Diese Zielgruppe umfasst Menschen, die in ihrer Freizeit, in der Familie, in Chören und Ensembles musizieren, Musikschüler*innen und Teilnehmer*innen an Volkshochschulkursen ebenso wie Besucher*innen von Konzert- und Musiktheateraufführungen. Hinzu kommt die unbekannte, aber wahrscheinlich sehr hohe Zahl derjenigen Musikinteressierten, die nicht den oben genannten Gruppen zuzurechnen sind, sondern schlicht und einfach gern Musik hören oder für sich allein Musik ausüben. Berufsmusiker*innen, Musikwissenschaftler*innen und Musikstudierende sind ebenfalls potenzielle Nutzer*innen öffentlicher Musikbibliotheken, doch in geringerem Maße, da ihnen eigene, auf ihren Bedarf zugeschnittene Einrichtungen zur Verfügung stehen.

Bestandsprofil und Dienstleistungen

Die Pluralität der Zielgruppen spiegelt sich im Bestandsprofil der öffentlichen Musikbibliotheken wider. Kernbestand sind praktische Notenausgaben in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden für alle Musikinstrumente und Besetzungskombinationen, zu denen ergänzend Partituren, Klavierauszüge und Gesamtausgaben zu Studienzwecken hinzukommen. Ein breit gefächertes Angebot an Musiktonträgern aller Stilrichtungen und Musikgattungen sowie musikalische Fachliteratur für Schule, Studium oder die eigene Weiterbildung sind weitere Säulen des Bestands. Indem öffentliche Musikbibliotheken in dieser Breite uneingeschränkten Zugang gewährleisten, unterscheiden sie sich von wissenschaftlichen und Musikhochschulbibliotheken, die eher über Quellenmaterial verfügen oder ihren Bestand in erster Linie am Nutzerkreis ihrer Institutionen ausrichten.

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Junge Frau spielt Klavier vor einem Regal mit Zeitschriften, drei weitere Personen schauen zu
Musizierraum in der Stadtbibliothek Reutlingen  
Foto:  Susanne Gnamm  /  Stadtbibliothek Reutlingen

Ein unverzichtbarer Service der öffentlichen Musikbibliotheken ist die musikbibliothekarische Fachinformation, die Hilfestellung bei der oft komplizierten Musikrecherche in Katalogen, Nachschlagewerken und Datenbanken leistet. Zum Aufgabenbereich gehören ferner Dienstleistungen, die über die bloße Vermittlung des Bestands hinausgehen: Öffentliche Musikbibliotheken sammeln und dokumentieren eigene Daten zum regionalen Musikleben und begleiten das Musikleben der Stadt durch gezielte Neuerwerbungen und Bestandsabsprachen. Oftmals unterhalten sie bedeutsame Sondersammlungen zur regionalen Musikgeschichte.

In Kooperation mit anderen Bildungseinrichtungen wie Musikschulen, allgemein bildenden Schulen und Volkshochschulen führen die Bibliotheken in ihren Räumlichkeiten regelmäßig Konzerte, Vorträge und Workshops durch. Musizierräume und Instrumente zur Nutzung vor Ort, Digitalpianos und Klangstudios gehören zur selbstverständlichen Ausstattung.

Infrastruktur

Gegenwärtig existieren 72 öffentliche Musikbibliotheken, die über ganz Deutschland verteilt dem oben beschriebenen Profil entsprechen und über mindestens 14.000 Medieneinheiten verfügen, darunter mindestens 7.000 Noten. Einige wenige liegen unter diesem Mindestbestand, weisen aber zusätzliche Kriterien einer öffentlichen Musikbibliothek auf wie zum Beispiel digitale Angebote, Instrumentenausleihe und/oder Musiziermöglichkeiten vor Ort. Große und bedeutende Einrichtungen finden sich in Berlin, Dresden, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, Leipzig, München und Stuttgart. Die Hauptstadt ist mit gleich sieben Musikbibliotheken besonders gut aufgestellt, andere Bundesländer und Regionen, z. B. Mecklenburg-Vorpommern, Nordhessen, Rheinland-Pfalz, Emsland, Ostfriesland und Oberschwaben, müssen hingegen als unterversorgt gelten. Die Mehrzahl der Einrichtungen zeichnet sich durch ihre Zugehörigkeit zur deutschen Ländergruppe der International Association of Music  Libraries, Archives and Documentation Centres (IAML Deutschland), dem Dachverband der Musikbibliotheken, aus. [2]

Entwicklungen und neue Konzepte

Digitale Angebote

Bibliotheksnutzer*innen wünschen heute die Medien und Informationen möglichst in elektronischer Form auf PC, Tablet oder Smartphone und das zu jeder Zeit und von jedem Ort aus. Auch öffentliche Musikbibliotheken stellen mittlerweile in digitalen Bibliotheken elektronische Ressourcen zur Verfügung, die entweder kostenfrei im Web zugänglich oder lizenziert sind, d. h. der Zugriff nur über das Netzwerk der Bibliothek möglich ist. Vereinzelt digitalisieren sie auch eigene historisch gewachsene Bestände (Stuttgart, Berlin).

Die in den meisten öffentlichen Bibliotheken bereitgestellte digitale Ausleihplattform Onleihe hat inzwischen vermehrt Musikbücher in elektronischer Version im Programm, vor allem musikpädagogische und musikbiografische Titel. Doch kann sie wegen fehlender rechtlicher Regelungen derzeit nur E-Books anbieten, bei denen der Verlag sein Einverständnis gegeben hat.

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Tisch mit Computer und Kopfhörern neben Regal mit Tonträgern
Nutzung von Streaming-Diensten in den Bücherhallen Hamburg  
Foto:  Falk von Traubenberg

In vielen Musikbibliotheken finden sich die kostenpflichtigen digitalen Musiksegmente des Informationsportals Munzinger. Den dort offerierten ortsunabhängigen Zugang zu den Naxos Online Libraries Klassik und Jazz, die per Streaming-Technologie in hoher Klangqualität mehr als 100. 000 CD-Einspielungen inklusive Werkinformationen zur Verfügung stellen, bieten zurzeit allerdings nur etwa ein Fünftel der öffentlichen Musikbibliotheken an. Den umfangreichsten, aber kostenintensiven Streaming-Service für Bibliotheken mit über 15 Millionen Musiktiteln aus allen Genres und mit über 40.000 Musikvideos stellt das amerikanische Portal Freegal Music zur Verfügung. Auf ihn haben die Kund*innen der Musikbibliotheken in Hamburg, Hannover, Berlin, Potsdam, Augsburg, Nürnberg und Mannheim Zugriff. Der weltweit am meisten zum Musikhören genutzte Streaming-Dienst ist allerdings kostenlos, direkt und ohne den Umweg über Bibliotheken zugänglich: Youtube. Die Audioqualität steht dabei auf einem anderen Blatt.

Auf dem Musikaliensektor überwiegt bisher der Gebrauch gedruckter Noten, doch steigt auch hier die Nachfrage nach digitalen Angeboten, die über iPad oder Tablet genutzt werden können. Hier bieten Entwicklungen wie die der kostenpflichtigen Anbieter nkoda,Tido oder der Henle Library einen Mehrwert gegenüber der Petrucci Music Library (IMSLP), der weltweit größten Online-Sammlung gemeinfreier und kostenlos verfügbarer Noten im Netz. Abgesehen vom Referenztext sorgfältig edierter Printausgaben enthalten die digitalen Editionen der genannten Anbieter zahlreiche Zusatzfunktionen wie z. B. Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Fingersätzen, Annotationsprogramme, Tutorials, Aufnahmen verschiedener Interpretationen, die abschnittweise angehört werden können, und vieles mehr. Allerdings richten sich diese Angebote bisher nur an Endnutzer*innen.

Öffentliche Musikbibliotheken als „Dritte Orte“

Öffentliche Musikbibliotheken haben schon immer flexibel auf gesellschaftliche Veränderungen reagiert. So berücksichtigen sie heute Zielgruppen, die früher nicht unbedingt in ihrem Fokus standen wie Kinder, Senior*innen und hochbetagte Menschen oder „absolute Anfänger“. Dennoch geht im Zeitalter des digitalen Wandels die Ausleihe von physisch vorgehaltenen Medien zurück und werden bestimmte Nutzergruppen nicht mehr erreicht, ohne dass dieser Verlust bisher durch andere Angebote ausgeglichen werden könnte.  

Die Frage, wie Musikbibliotheken ausgestattet sein müssten, um diesen veränderten Erwartungen der Nutzer*innen Rechnung zu tragen, steht daher schon seit einiger Zeit im Raum. Als erste öffentliche Bibliothek hatte die Stadtbibliothek Köln auf ihrer neu gestalteten Etage „Musik, Medien, Makerspace“ Platz geschaffen für einladende Sitzlandschaften und die Einrichtung eines Kreativraums, eines sogenannten „Makerspace“ mit u. a. auch musikbezogener Hard- und Software und Musikinstrumenten zur Nutzung vor Ort. Aufmerksamkeit erlangte auch das Konzept „Laboratorium Musikbibliothek“ der Öffentlichen Bücherhallen Hamburg, das sich nicht nur die konsequente Ausrichtung des Bestands am Kundenwunsch zum Ziel gesetzt hat, sondern darüber hinaus die Vermittlung eines aktiven Zugangs zur Musik. Neben Angeboten zum „Musiklesen“ und „Musikhören“ wurde das „Musikerleben“, das „Musikmachen“ als dritte wichtige Säule der Musikbibliotheksarbeit eingeführt. Nach strukturell wie räumlicher Umgestaltung präsentiert sich die Musikabteilung als Erlebnisort, wo seither Musik- und Tanzworkshops, PCs mit Musiksoftware, iPads zum Musizieren mit Apps, Instrumentenausleihe und vieles mehr das analoge und digitale Medienangebot um Anreize zum eigenen Tun erweitern.

Ein großer Bibliotheksraum
Ebene Musik der Bücherhallen Hamburg, Zentralbibliothek  
Foto:  Falk von Traubenberg
Zwei Jugendliche mit Kopfhörern sitzen in orangefarbenen Sesseln vor einer Fensterfront
Musikbibliothek der Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg  
Foto:  Thomas Lother  /  Bildungscampus Nürnberg
Sessel in Form eines Lautsprechers neben Regal mit Tonträgern
Musikbibliothek der Mauritius-Mediathek Wiesbaden  
Foto:  Claudia Monien
Saxophonisten in einem Bibliotheksraum
Jazzorchester in der Stadtbibliothek am Mailänder Platz Stuttgart  
Foto:  die arge Lola
Ausleihsituation in einer Bibliothek
Fachauskunft der Musikbibliothek der Stadtbibliothek Reutlingen  
Foto:  Susanne Gnamm  /  Stadtbibliothek Reutlingen
Zwei Personen arbeiten mit Musikelektronik
Workshop in der Stadtbibliothek Köln  
Foto:  Stadtbibliothek Köln
Blick nach unten in Bibliotheksraum mit Infotheke
Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek Am Gasteig  
Foto:  Eva Jünger  /  Münchner Stadtbibliothek
Ältere Personen singen in einem Bibliotheksraum, in der Mitte ein Herr am Klavier
Offenes Singen im Bildungshaus Wolfsburg, Stadtbibliothek  
Foto:  Bildungshaus Wolfsburg, Stadtbibliothek
Kleines Mädchen spielt am Boden auf einer Veeh-Harfe
Workshop in der Musikbibliothek der Stadtbibliothek Essen  
Foto:  Stadtbibliothek Essen

Die Bibliothek als Dritter Ort sei die Chance, war denn auch das Fazit einer Diskussion über die Zukunft öffentlicher Musikbibliotheken im Rahmen der Jahrestagung der IAML Deutschland 2017. [3] Bibliothek als Dritter Ort bedeutet „inszenierter Lebensraum“, an dem man sich zwischen dem eigenen Zuhause (erster Ort) und der Arbeitswelt (zweiter Ort) gerne aufhält, der durch eine hohe Aufenthaltsqualität und gute technische Ausstattung zum Verweilen, zum Austausch und zur Weiterbildung allein oder in der Gruppe einlädt. Nicht mehr die Medien, sondern der Mensch steht im Mittelpunkt. In der Tat sind überall dort, wo Bibliotheksräume zu „inszenierten Lebensräumen“ umgestaltet wurden, die Besucher- und Ausleihzahlen gestiegen. Musikbibliotheken könnten durch die Einrichtung sogenannter „MusicSpaces“ ihre Attraktivität erhöhen und neue Zielgruppen erschließen. Soeben hat die Universitätsbibliothek Oldenburg einen derartigen Musikraum geschaffen, der die Infrastruktur bietet, um informelles Lernen und Kreativität zu fördern und die produktive Arbeit mit musikbezogenen Materialien zu ermöglichen. Als Vorbilder dienten die Stadtbibliothek Köln und die Öffentlichen Bücherhallen Hamburg, deren Konzept hier auf eine wissenschaftliche Bibliothek übertragen wurde. Mittlerweile öffnen sich immer mehr Musikbibliotheken dieser Idee. Wie die Erfahrungen jedoch zeigen, ist das Kundeninteresse für diese Inhalte nicht automatisch vorhanden, es bedarf deren Vermittlung. Da Musikbibliothekar*innen in der Regel dafür nicht ausgebildet sind, werden vakante Stellen zunehmend auch mit Musik- und Medienpädagog*innen besetzt.

Herausforderungen für die Zukunft

Ausgangssituation

So spannend die dargestellten Konzepte und die Beispiele ihrer gelungenen Umsetzung sind, die Realität sieht vielfach anders aus. Die 1985 im „Modell der Öffentlichen Musikbibliothek“ formulierte Planungsrichtlinie, nach der in jeder größeren Stadt über 100.000 Einwohner eine Musikbibliothek einzurichten sei [4], konnte bis heute nicht umgesetzt werden. Im Gegenteil: Sie ist in weitere Ferne gerückt denn je. Mit derzeit 72 öffentlichen Musikbibliotheken kann die flächendeckende Versorgung von Musikunterricht und Musikausübung durch Musikbibliotheken nicht flächendeckend gewährleistet werden. Zudem werden in bestehenden Einrichtungen Musikbestände reduziert oder sogar ganz aufgelöst, werden musikbibliothekarische Stellen oftmals fachfremd oder nicht mehr besetzt. An dieser Stelle ist auch der mittlerweile eklatante Mangel an qualifiziertem musikbibliothekarischem Nachwuchs zu nennen.

Als freiwillige Aufgabe der Kommunen sind öffentliche Musikbibliotheken vom Willen und der Überzeugung abhängig, dass auch die Förderung musikalischer Bildung zum Aufgabenspektrum von öffentlichen Bibliotheken gehört. In Zeiten voller Kassen steht dies auch nicht zur Diskussion. Wenn aber zunehmend marktwirtschaftliche Prinzipien und Ausleihzahlen als statistische Kennzahlen über Mittelzuteilungen oder selbst Standortschließungen entscheiden, geraten Musikbibliotheken schnell ins Hintertreffen. Die Ausleihzahlen von Noten konkurrieren mit denen anderer Sachgebiete, obwohl der Nutzerkreis infolge der „Hürde“ der Notenschrift naturgemäß enger gefasst ist. Zudem stellt sich die Erschließung von Musikressourcen als personalintensiv dar, was zum einen in der Materie selbst, zum anderen aber in der Situation begründet liegt, dass eine uneingeschränkte Nachnutzung von Fremddaten derzeit nicht gegeben ist. Mit Blick auf die digitalen Angebote mangelt es einerseits an ausreichender finanzieller und technischer Ausstattung für Datenbanklizenzen und für die Einrichtung von Netzzugängen, andererseits existieren für bestimmte Segmente wie z. B. für die Bereitstellung von E-Scores noch keine Lizenzmodelle. Ein weiterer Aspekt, der sich verstärkt auf die Nutzung von Musikbibliotheken auswirken dürfte, ist die Misere der musikalischen Bildung, die der Deutsche Musikrat in vielen Bildungseinrichtungen konstatiert.

Bibliothek und Musikkultur

Als Konsequenz aus diesen Entwicklungen setzt die IAML Deutschland in ihrer Nürnberger Erklärung gemeinsam mit dem Verband deutscher Musikschulen (VdM) auf eine stärkere Zusammenarbeit der Bildungseinrichtungen. Sie fordern von den politischen Entscheidungsträgern eine ausreichende Ausstattung von Musikbibliotheken und die Integration von Informationskompetenz in die musikalische Bildung an Schulen und Musikhochschulen. [5] Aber auch bei den allgemeinen Bibliotheksverbänden ist Überzeugungsarbeit zu leisten, dass der Bereich Musik mit seinen Besonderheiten des Materials und mit seinen spezifischen Voraussetzungen und Anforderungen unverzichtbar zur Infrastruktur öffentlicher Bibliotheken gehört. Keine anderen kulturellen Einrichtungen können den freien Zugang zu musikbezogenen Medien und Inhalten und damit die Unterstützung musikalischer Bildung und Praxis besser gewährleisten. Mit der Aufnahme des Textbausteins „Bibliothek und Musikkultur“ im Jahr 2017 in das Musterbibliotheksgesetz des Deutschen Bibliotheksverbands wurde dieser Auftrag der Musikbibliotheken in Deutschland erstmals auf bibliothekspolitischer Ebene definiert.

 „Sehnsuchtsorte non-virtueller Erfahrung“

Ein erster Anstoß, auch außerhalb des musikbibliothekarischen Berufsverbands mit namhaften Vertretern aus Kultur- und Bibliothekspolitik über die „Zukunft der Musik in Öffentlichen Bibliotheken“ nachzudenken, war eine von der IAML Deutschland organisierte Podiumsdiskussion auf dem Bibliothekartag 2017 in Frankfurt am Main. Es ging um die Frage, ob die Öffentliche Musikbibliothek durch den gesellschaftlichen Wandel mit ihrem veränderten Musikkonsum ein Auslaufmodell oder mehr denn je eine unverzichtbare Institution im Kontext von musikalischer Bildung und Musikpraxis sei. Am Ende der kontroversen Diskussion gab Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats und Präsident des Deutschen Kulturrats, zu bedenken, dass bei Jugendlichen das Bedürfnis nach non-virtueller Erfahrung umso größer wird, je stärker sie sich in virtuellen Lebenswelten aufhalten. Aus dieser Beobachtung heraus sei es wünschenswert, dass „Musikbibliotheken, und überhaupt die Bibliotheken, zu Sehnsuchtsorten non-virtueller Erfahrung werden.“ [6]

Was könnte diesem Sehnsuchtsort besser entsprechen als eine „Musikbibliothek als Dritter Ort“, ein Ort, der neben einem breiten analogen und digitalen Medienangebot zur Beschäftigung mit Musik in all ihren Facetten einlädt, mit attraktiven Musikarbeitsplätzen, Musizierräumen mit Musikinstrumenten, bequemen Hörsesseln, Musikveranstaltungen und Musikworkshops? Die nächsten Jahre werden zeigen, ob es nur bei dieser Vision bleibt oder ob es gelingt, die öffentlichen Musikbibliotheken in die vielfach diskutierte schöne neue Bibliothekswelt einzubinden. Die Millionen an Musik interessierten Menschen hätten ein Anrecht darauf.

Über die Autorin

Verena Funtenberger leitet seit 1995 die Musikbibliothek der Stadtbibliothek Essen. Sie war von 2015 bis 2018 Vizepräsidentin der IAML Deutschland.

Fußnoten

  1. Vgl. Modell der Öffentlichen Musikbibliothek, Berlin 1985 (dbi-Materialien, Bd. 44), S. 12 ff.
  2. Die als eingetragener Verein organisierte deutsche Ländergruppe verwendete bis 2017 die französische Abkürzung AIBM und war unter diesem Namen bekannt.
  3. Cortina Wuthe: Wege in die Zukunft Öffentlicher Musikbibliotheken – Herausforderungen und Perspektiven, in: Forum Musikbibliothek 39(1), 2018, S. 33-35.
  4. Planungsrichtlinie: in jeder Stadt über 300.000 Einwohner eine Musikbibliothek der Stufe II (Mindestbestand 40.000 Medieneinheiten), in jeder Stadt über 100.000 Einwohner eine Musikbibliothek der Stufe I (Mindestbestand 14.000 Medieneinheiten). In: Modell der Öffentlichen Musikbibliothek, S. 22, S. 79.
  5. Nürnberger Erklärung 2014. In: Forum Musikbibliothek 36(1), 2015, S. 36-37.
  6. http://www.aibm.info/2017/03/22/podiumsdiskussion-zur-zukunft-der-musik-in-oeffentlichen-musikbibliotheken-beim-bibliothekartag-2017-in-frankfurt (mit Audiomitschnitt; Zugriff: 03. September 2018). [Seite nicht mehr verfügbar; Informationen zur Podiumsdiskussion hier: https://iaml-deutschland.info/wp-content/uploads/2020/12/BuB_2017_07_418_419-1-1.pdf, Anm. d. Red.]